K.O. Tropfen als Glühwein-Scherz – warum wir sexistische Medienmacher*innen direkt angehen

Die ersten Monate unserer Kampagne #UnfollowPatriarchy haben verdeutlicht: sexistische Sprache ist allgegenwärtig, und das auch in den großen, seriösen Blättern. Das liegt vor allem daran, dass unsere Medienlandschaft noch kaum sensibilisiert ist. Umso erfreulicher ist es, dass sich ein paar  der größeren Medienhäuser doch einsichtig zeigen, und auf unsere Anfrage hin sexistische Schlagzeilen sowie Texte korrigieren. Dennoch stellen wir fest: das Patriarchat ist kein Flüchtigkeitsfehler, sondern hat System und vor allem eins, feste Akteure. Besonders negativ sind in den vergangen Wochen Medienmacher*innen aus Bayern aufgefallen.

Sind sexistische Nachrichten, die Verharmlosung von Gewalt, die erniedrigende Darstellung von Frauen*auch im Jahr 2018 noch unbeabsichtigt? Ist Unwissen die Ursache, dass  die Medienlandschaft für diese Belange noch nicht ausreichend sensibilisiert ist? An Information mangelt es eigentlich nicht: Artikel darüber, dass “Familiendrama” ein falscher Begriff ist, gibt es wie Sand am Meer. Fakt ist also, dass im geringsten Fall Unwissen der Grund für Sexismus ist. Unsere langjährigen Arbeit beweist stattdessen, dass Sexismus in vielen Redaktionen System hat. Viele scheinen zu glauben, mit sexistischer Berichterstattung ließe sich gut Geld machen – und ignorieren dabei die gesellschaftlichen Konsequenzen wie Herabwürdigung, Diskriminierung, sexuelle Belästigungen und Gewalt, die ihre Artikel befördern. Das alles haben wir satt. Aus diesem Grund haben wir #UnfollowPatriarchy gestartet.

#unfollowpatriarchy – weil Sexismus ein Gesicht hat

Unser Team screent täglich 14 Online- und Print-Medien und sucht das Netz nach festgelegten Schlagworten ab – wie zum Beispiel dem Begriff “Familiendrama”. Finden wir einen problematischen Begriff, kontaktieren wir zuerst die Redaktion, beziehungsweise die verantwortlichen Medienmacher*innen selbst. Dabei dokumentieren wir die Reaktionen: wer etwas ändert, wer sich gegen eine Verbesserung stellt, wann eine Antwort kam, und vor allem welche. So werden wir arbeiten wir nach und nach heraus, welche Redaktionen den medialen Sexismus in Deutschland aufrechterhalten, und damit aktive Unterstützer*innen des Patriarchats sind. Unsere Ziele sind daher zum einen zu definieren, wer aus Unwissen Sexismus (re)produziert, um dort Hilfestellung für Veränderungsprozesse zu leisten. Zum anderen wollen wir aber vor allem klarstellen, wer aus Profitgründen und chauvinistischer Denke gar kein Interesse hat etwas ändern, und diese Akteure in den öffentlichen Fokus stellen. Auf diese Weise bekämpfen wir mit #UnfollowPatriarchy sexistische Berichterstattung direkt an der Wurzel, und zwar bei den Personen, die diese Schlagzeilen produzieren und/oder zu verantworten haben. In vielen Fällen konnten wir so schon direkt Einfluss auf sexistische Berichterstattung nehmen.

Das Hauptproblem: “Sex” statt Vergewaltigung, “Familiendrama” statt Mord. Aber auch langsame Einsicht.  

“Sex-Falle”, “Sex-Attacke”, “Sex-irgendwas” – die Wortkombinationen, in denen “Sex” synonym mit “Vergewaltigung” verwendet werden, sind endlos. In den Redaktionen scheint sich ein Automatismus gebildet zu haben, über den kaum nachgedacht wird. Dabei entsteht ein gefährliches Bild: Vergewaltigung als Sex zu bezeichnen ist (im besten Fall) die Annahme der Täter*innenperspektive. Vergewaltigung ist eine Gewalttat, Sex hingegen etwas Einvernehmliches zwischen Personen, die fähig sind für sich zu entscheiden.

Nadia Murad wurde als Jesidin von den IS gefangen gehalten und vergewaltigt, nun erhielt die irakische Menschenrechtsaktivistin den Friedensnobelpreis für ihre Arbeit. Am 10. Dezember 2018 berichtete der SWR und bezeichnete Murad – ähnlich wie die Bild-Zeitung – als “Sex-Sklavin”.

Unser Team setzte sich gleich mit der Redaktion in Verbindung, die zuerst die Begriffswahl verteidigte.

Nach Erläuterung unsererseits, zeigte sich der SWR jedoch einsichtig, und bedankte sich für die Intervention und korrigierte die Stellen.

   

Auch die Auslassung des Begriffs “Vergewaltigung” ist ein Problem – wenn eine Frau* sich gegen einen Mann wehren muss, der sie vergewaltigen will, ist das versuchte Vergewaltigung und kein “Streit mit einer Freundin”.

Wir twitterten an die Redaktion der Ostsee-Zeitung und den verantwortlichen Redakteur Andreas Ebel, der sich ebenso bedankte und auch sofort den Titel änderte.

Bei der WAZ korrigierte man ebenso sofort – und entfernte nach unserem Hinweis den Begriff aus “Sex-Attacke” aus dem Text.
 

Auch die Kieler Nachrichten reagierten, als wir „Sex-Vorfall“ kritisierten. Die Unterstützung unserer follower*innen war hier sicher nicht unwichtig.

Unsere Medienlandschaft ist patriarchal geprägt, und so werden schädliche Begriffe oft unbewusst übernommen, wie diese Beispiele gezeigt haben. Sexismus erhält sich nun aber nicht durch reine Ausrutscher. Warum Vergewaltigung kein Sex sein soll? Wieso K.O.-Tropfen nicht lustig sind? Warum 156 Tötungen von Frauen* Mord sind und kein Beziehungsstreit? Das wollen einige nicht einsehen. Zudem gibt es Menschen, die diese Ungleichstellung erhalten wollen, weil man aus ihr Profit schlagen kann. Und ach ja, weil man die eigene Vormachtsstellung nicht verlieren will. In unserem letzten Screening war dies verstärkt in Bayern der Fall, sowohl in  großen Tageszeitungen als auch Lokalblättern.

K.O.-Tropfen Scherze, Familendramas und Taxis als “Sex-Fallen”: Das Leid der Frauen als Entertainment in Bayern

Am 5.11. erschien im Merkur und der tz in München ein Artikel über einen Mord in Fürstenfeldbruck. Im Text fand sich öfter der Begriff “Familiendrama”. “Familiendrama” ist der beliebteste Begriff, wenn es um die Ermordung einer Frau durch einen Bekannten geht, also egal ob Ehemann, (Ex-)Freund oder (abgewiesener) Bekannter. Handelt es sich um muslimische Täter, wird der  Begriff “Ehrenmord” plötzlich wie selbstverständlich benutzt. “Ehrenmord” definiert ganz klar: wird hier eine Frau* ermordet, hat dies System, das Motiv ist der verletzte männliche Stolz. “Familiendrama” hingegen kommuniziert dieses männliche Problem nicht. Synonym dafür wird auch “Beziehungsdrama” verwendet, kommuniziert wird dabei weder ein Männlichkeitsproblem in Deutschland noch der Fakt, dass jeden dritten Tag in Deutschland ein Mann eine Frau* tötet.

Wir sprachen die Zeitung auf den Begriff an. Weder Kathrin Garbe, die Autorin des Artikels, noch die Redaktion haben sich dazu bis heute geäußert.
  
 

Ein weiterer Mordfall und ein weiterer Fall von Uneinsichtigkeit beim Bayerischen Rundfunk. Unsere Anfrage blieb auch hier unkommentiert.

Mitte November gab es dann einen weiteren Fall der durch die Schlagzeilen ging. Eine Frau wurde in München von einem Mann, der sich fälschlicherweise als Taxifahrer ausgab, vergewaltigt. Wieder gab es eine problematische Schlagzeile bei der tz München. Das Taxi danach als “Sex-Falle” zu bezeichnen? Für die Redaktion offensichtlich kein Problem, auch nicht auf unsere Nachfragen hin.


Nach unserer Erläuterung gab es aber – im Gegensatz zum letzten – zumindest erst einmal Einsicht, und das Versprechen der Weiterleitung der Nachricht.

Da keine Antwort kam, meldeten wir uns erneut. Ansage diesmal: nicht zuständig.

Auch nach mehrmaligem Nachfragen gab es nichts weiter als eine Info-Nummer. Für print sind wir nicht zuständig. Nahbare Zeitung? Fehlanzeige. Verantwortungsvoller Diskurs? Sieht anders aus. Neben der Uneinsichtigkeit des Web-Teams – auch andere Menschen hatten den Fall in den Sozialen Medien thematisiert – zeigt sich hier vor allem ein Mangel an Kompetenz was Diskursfähigkeit anbelangt. Zudem wurde die Sache umso fragwürdiger, da wir im Fall der „Familiendrama“ – Schlagzeile, die eben in einem online- und nicht print-Artikel stand, gar keine Reaktion erhalten haben. Über eine telefonische Kontaktaufnahme sehen wir daher erst einmal ab – was telefonisch besprochen wird, kann man hinterher schwer nachweisen. Stattdessen fassen wir nach den Feiertagen nochmal per Schreiben nach.

Ignoranz, Desinteresse, das finden wir aber nicht nur in der Lokalpresse wieder. Im November schickte uns ein Follower einen Hinweis aus der Printversion der Süddeutschen Zeitung. Der Artikel handelte eigentlich von Glühwein. Der Autor, Werner Bartens, fand es besonders lustig die Wirkung von Zucker und Alkohol mit der von K.O.-Tropfen zu vergleichen.

Wir wollten von dem Journalisten wissen, wie es denn zu so einem “Scherztitel” kommen kann in Zeiten von #MeToo. Die Antwort blieb aus, das einzige plus: online war diese Schlagzeile nicht zu finden. Woran das wohl liegen lag?


Keine Ausrutscher, sondern Sexismus mit System

Die Existenz von medialem Sexismus, ist mittlerweile in den Köpfen vieler Menschen und auch in vielen Redaktionen angekommen. Jedoch herrscht Uneinigkeit darüber, wie dem begegnet werden soll. Mit mehr Medienkritik und besserer Aufklärung? In der Tat ist es unser Ziel, gendersensible Berichterstattung so in den Fokus zu rücken, dass unsere Arbeit obsolet wird. Neben unserer aktivistischen Arbeit bieten wir den Redaktionen daher auch Workshops an. Aber wir glauben auch, dass Sexismus nicht einfach verschwinden wird, wenn man nur gut und oft genug darüber aufklärt. Denn es gibt einfach zu viele Menschen, die davon profitieren. Wie bei jeder Form von Unterdrückung kann diese nur bekämpft werden, wenn man auch direkt an die Verursacher*innen und die Profiteur*innen des Problems geht. Viel elementarer für unsere Kampagne ist daher vor allem die Sammlung und Dokumentation einzelner Medienmacher*innen, die offensichtlich den Luxus haben, nicht von sexistischer Diskriminierung betroffen zu fühlen. Wer K.O.-Tropfen lustig findet, wer kein Problem darin sieht Vergewaltigung als Sex zu titulieren, es gut findet diese Gewalttaten in vermeintlich unterhaltende Wortkombinationen zu stecken, der ist nicht nur am Erhalt von Sexismus beteiligt, sondern formt ihn maßgeblich mit.

Wer den Gegner nicht benennen kann, kann ihn auch nicht bekämpfen

Darum werden wir es in den Fällen der Süddeutschen Zeitung und tz München nicht mit Dokumentation ihrer Sexismen belassen. Dort hat man sich dazu entschieden nichts zu korrigieren, manchmal nicht einmal zu re-agieren. Auf Gleichberechtigung zu verzichten, die Unterdrückung anderer zu negieren, das ist ein Privileg das sich sexistische Medienmacher*innen einfach herausnehmen, die Folgen haben andere zu tragen. Studien belegen dabei den Zusammenhang zwischen sexistischer Berichterstattung und Gewalt gegen Frauen* zuhauf. Wenn wir nachhaltig etwas verändern wollen, müssen wir genau nachfragen, worin denn das Problem für diese Personen liegt, über alle Menschen gleichermaßen respektvoll zu schreiben. Setzen wir uns dieser Konfrontation nicht aus, dass wir Menschen unter uns haben die den Wandel gar nicht wollen, wenn wir den Ursprung des Problems nicht benennen, können wir auch kaum etwas ändern. “Aufklärungsfeminismus”, also um Wandel bitten, statt auf Gerechtigkeit zu bestehen, reicht nicht. Gerechtigkeit wird einem nie gegeben, man muss sie sich erkämpfen. Mit #unfollowpatriarchy wollen wir genau hier ansetzen, und diese zweifelhafte Privilegstellung angreifen.

 

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