Aktivismus in Zeiten von Corona: Eine Ode an den digitalen Widerstand

Der Lockdown geht in die sechste Woche und es regt sich Widerstand. Seit einigen Tagen hören wir in den Medien immer mehr kritische Stimmen. Allerdings sind diese wie gewohnt männlich und fordern vor allem eins: Die Wiederbelebung der Wirtschaft. Deutsche Medien berichten im Akkord über ökonomische Rezession und Depression und wie wichtig es ist, den Motor wieder zum Laufen zu bringen. Dass wir den Stillstand mal dazu nutzen könnten darüber nachzudenken, wie wir unser Leben nachhaltiger und solidarischer gestalten, wird von vielen ausgeblendet. Diese Krise macht alle Ungerechtigkeiten auf denen unser System aufgebaut ist sichtbar und wir müssen auch dementsprechend handeln.

Apropos Solidarität: Diese hat in den vergangenen Wochen auch ganz schön gelitten. Auf Moria sitzen noch immer rund 40.000 Menschen unter erbärmlichsten Umständen fest (#LeaveNoOneBehind). Darüber hinaus nutzen populistische Regierungen wie wie die polnische, die Krise um ihre misogyne Propaganda durchzusetzen. Frankreich meldet seit Beginn der Ausgangssperre einen Anstieg von Gewalt gegen Frauen in ihrem eigenem Źu Hause in Höhe von 30%. Medien warnen bereits seit Wochen vor steigenden Zahlen, die Berichterstattung über einzelne Schicksale ist in Deutschland allerdings zurück gegangen. Und wenn berichtet wird, dann eben nur verharmlosend als “Ehestreit”, “Beziehungsdrama” oder “Familientragödie”. Kritische Berichterstattung sieht anders aus.

Protest wird unsichtbar durch Versammlungsverbote

Die Personen, welche normalerweise auf diese Probleme aufmerksam machen, indem sie die öffentliche Ordnung durch Proteste, Kundgebungen, und kreativen Aktionen (kurz) unterbrechen, stehen in diesen Zeiten erst recht mit dem Rücken zur Wand. Die meisten Engagierten sind weiblich und jetzt eher mit Home Schooling, unbezahlter Care-Arbeit, dem Abkassieren von Lebensmitteln in Supermärkten oder aber auch mit dem Retten von Leben in Krankenhäusern beschäftigt. Protest wird unsichtbar, nicht nur weil wir zu Hause bleiben müssen, sondern auch weil wir schlicht und einfach gerade damit beschäftigt sind, das System am Laufen zu halten, Kinderbetreuung mit inbegriffen. Diese Krise ist auch eine Feministische. Und wenn die Medien bevorzugt über Börsenkurse und Finanzpakete, anstatt korrekt über unsere Schicksale und Kämpfe berichten, fehlt ein wichtiges Sprachrohr

In den Sozialen Medien regt sich kreativer Widerstand

Also müssen wir uns irgendwie anders helfen und verlagern unsere Aufmerksamkeit hin zu den sozialen Medien: Im Gegenteil zu traditionellen Medien, lassen sich diese viel einfacher durch uns gestalten. Das Internet ist nicht nur dafür da, sich Katzenvideos in Dauerschleifen anzuschauen, sondern hat eben auch den wunderbaren Nebeneffekt, politisches Engagement unglaublich zu vereinfachen. Das Internet kennt keine geografischen Grenzen und verwischt gleichzeitig die sonst so strikte Trennlinie zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Auch wenn dies Gefahren in sich birgt (Das Recht auf Privatsphäre hört im Internet nämlich nicht einfach auf), ist diese Verwischung aber auch eine Chance, die Welt feministischer zu gestalten. Wenn Frauen sich mit Wissen ermächtigen, dieses neben ihren einzelnen Geschichten und Erfahrungen an ein großes Publikum kommunizieren und gleichzeitig Gleichgesinnte finden, dann entsteht sichtbarer Protest, der eben auch zum Wandel führen kann.

Nun ist es aber auch so, dass Aktivismus von der Störung der analogen Öffentlichkeit lebt und wir uns in der misslichen Lage befinden, dass uns unser Recht auf Versammlungsfreiheit in den meisten Ländern erheblich eingeschränkt, wenn nicht sogar ganz genommen wurde. Doch ebenso wie das Internet kennt Kreativität keine Grenzen.

Quelle: Facebook @ogolnopolskistrajkkobiet

Quelle: Facebook @ogolnopolskistrajkkobiet

Vernetzt euch und seid laut für all jene, die es nicht können!

Nachdem das polnische Parlament letzte Woche einen weiteren Versuch unternehmen wollte, das eh schon strenge Abtreibungsrecht noch mehr einzuschränken, verständigten sich hunderte polnische Frauen über soziale Medien, posteten tausendfach Bilder von sich zu Hause mit Plakaten und ihren Forderungen. Andere setzten sich in ihr Auto oder auf ihr Fahrrad und bildeten hupende bzw. klingelnde Konvois oder protestierten dann eben doch (mit Abstand) gegen das geplante Gesetz. Das Ergebnis: Das angestrebte Abtreibungsverbot wurde wieder zurück in den Ausschuss geschickt, indem es schon vorher zwei Jahre lag. Das es so geschah, lag gerade an den Protesten trotz Ausgangssperren. Für viele Frauen in unserem Nachbarland bleibt die Situation allerdings gefährlich, weswegen die intensive Fortführung und Solidarität mit den Protestierenden umso notwendiger ist.

Quelle: instagram.com/collages_feminicides_paris

Quelle: instagram.com/collages_feminicides_paris

Ein weiteres Beispiel kommt aus Frankreich, wo der Pariser Ableger der “FemplaksCollages Feminicides Paris normalerweise mit Schriftzügen an Hauswänden auf Frauenmorde aufmerksam macht. Da in Frankreich allerdings momentan eine strikte Ausgangssperre herrscht, mussten auch sie umdenken. Und das Resultat kann sich sehen lassen: Mit Hilfe von digitalen Tools projizieren sie per Fotoshop ihre Parolen nun auf bekannte Gebäude und posten diese auf Instagram. Mit der “Share-Funktion” lassen sich die Beiträge einfach in den eigenen Stories teilen, womit die Reichweite erhöht wird und somit Aufmerksamkeit für das Thema generiert.

Quelle: https://www.instagram.com/1up_crew_official/

Quelle: https://www.instagram.com/1up_crew_official/

Und auch in Deutschland tut sich etwas. Seit ein paar Wochen fordern Banner an Fassaden, Graffitis an U-Bahn-Stationen und Kreide-Parolen auf Gehwegen #LeaveNoOneBehind. Die Bewegung Seebrücke veranstaltete im März und April Online-Demos via YouTube und rief ihre Anhänger dazu auf von zu Hause aus zu protestieren. Die Notrufnummern von Hilfetelefonen werden vielfach in den sozialen Medien geteilt und auch die Aktivist*innen von Fridays For Future protestieren nun jeden Freitag virtuell und fordern den Wiederaufbau der Wirtschaft grüner und ethischer zu gestalten.

Wir wissen, dass digitaler Aktivismus einfacher zu ignorieren, keinen Grundrechtsschutz genießt und ein Privileg denjenigen gegenüber ist, die ihre Meinungen nicht frei im Internet äußern können ohne mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.

Gerade deswegen sollten wir, die privilegiert genug sind online zu sein, solidarisch das Internet für Engagement nutzen, vor allem um Menschen mit unseren Stimmen zu unterstützen, die keine haben.  Digitaler Aktivismus ist ein Hoffnungsschimmer, weil er analogen Widerstand partizipativer und kreativer gestaltet. Gerade in Zeiten von Corona. Und eine gute Nachricht, gab es dann letzte Woche doch: Das Bundesverfassungsgericht hat das strikte Versammlungsverbot teilweise gekippt. Geht doch!

 

von Elizabeth Avila González

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