Wer erklärt die Welt?

Wir leben im Jahr 2020 und Männer erklären uns immer noch die Welt. Unsere neue Studie beweist: Männer sprechen doppelt so lang wie Frauen, die wichtigen Ressorts sind in Männerhand, nur 15 Prozent aller Expert*innen sind Frauen und Frauen werden selten mit Namen genannt. Wir haben drei Nachrichtensendungen analysiert, die Ergebnisse sind erschreckend aber wenig überraschend. Wir fordern von ARD, ZDF, RTL & Co. dringenden Handlungsbedarf: Mehr Diversität und gerechte Geschlechterverhältnisse in allen Redaktionen!

+++ Die komplette Studie könnt ihr hier herunterladen +++

Seit 1971 haben Frauen eine Stimme bei den ZDF „heute“ Nachrichten, seit 1976 in der ARD Tagesschau. Heute sind Moderatorinnen und Beitragssprecherinnen in den Top-Nachrichtensendungen in Deutschland keine Seltenheit mehr. Doch kommen Frauen in gleichem Maße zu Wort wie Männer, wie dies der Tagesspiegel behauptet? Wir haben nachgeforscht: In unserer neuen Studie “Wer erklärt die Welt?” untersuchen wir, wer (Anm. d. Red.: Keine der Personen, in den von uns analysierten Sendungen, trat offensichtlich als trans*, nicht-binär oder queer auf) wie lange über welches Thema spricht, aus welcher Position heraus gesprochen wird und ob die Person beim Namen genannt wird. Grundlage für die Analyse sind jeweils sieben Ausgaben von den drei Nachrichtensendungen mit den höchsten Einschaltquoten in Deutschland: „Tagesschau“ um 20 Uhr der ARD, „Heute Journal“ um 21 Uhr des ZDF, und „RTL Aktuell“ bei RTL um 18.45 Uhr.

Männer haben doppelt so viel Redeanteil. Grafik: Gender Equality Media

Männer sprechen in TV-Nachrichtensendungen doppelt so lang wie Frauen

Schon bei einem ersten Blick in die Daten wird klar – Männer sprechen mehr und länger als Frauen. In den 6 Stunden und 20 Minuten des analysierten Nachrichtenmaterials sprechen Männer zu 67 Prozent und Frauen zu 33 Prozent. Auch in der Länge sind regelmäßige Unterschiede zu sehen: Eine männliche Sprachsequenz ist im Durchschnitt 19 Sekunden, eine weibliche dagegen 16 Sekunden lang. Obwohl sich sowohl ARD als auch ZDF der beruflichen Chancengleichheit von Frauen und Männern verschrieben haben, ist davon in den TV-Nachrichten wenig zu sehen. Vielleicht für die eine oder den Anderen überraschend: Größere Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendungsformaten gibt es in den Sprechanteilen nicht.

Privat oder öffentlich-rechtlich: Kaum Unterschiede! Grafik: Gender Equality Media

Niedriger Anteil an Frauenstimmen in den wichtigsten Ressorts

Die Daten beweisen auch geschlechtsspezifische Stereotype: Frauen sprechen eher in den Bereichen Unterhaltung und Gesellschaft. Diese Bereiche gehören oft kürzer und werden nebenbei besprochen. In den wichtigsten und auch am längsten besprochenen Themen in Nachrichtensendungen, also Politik und Wirtschaft, liegt der Anteil an Frauen nur bei 33 bis 36 Prozent. So werden in den deutschen TV-Nachrichten, welche Millionen von Menschen täglich verfolgen, Klischees reproduziert. Frauen haben nichts zu sagen, sind keine Expertinnen und werden immer noch eher mit Unterhaltungsthemen in Verbindung gebracht. Mit Wissenschaft, Politik und Wirtschaft haben Frauen eben nichts zu tun.

Weniger geht kaum. Grafik: Gender Equality Media

Nur 15 Prozent: Frauen werden selten als Expertinnen hinzugezogen

Männerstimmen dominieren nicht nur das TV-Programm, sie treten auch hauptsächlich als Experten auf: Beitragssprecher*innen, Moderator*innen und Expert*innen decken 91 Prozent der Sendezeit ab, jedoch sind in keiner der Sprechpositionen Frauen häufiger zu hören als Männer. Beitragssprecherinnen und Moderatorinnen kommen etwa nur halb so lang wie Beitragssprecher und Moderatoren zum Einsatz. Bei Expertinnen ist diese Differenz noch drastischer: Hier liegt der Anteil von Frauenstimmen bei 15 Prozent im Vergleich zu 85 Prozent der Männerstimmen. Besonders selten sind Expertinnen in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten zu hören: Während bei RTL aktuell noch zu 27 Prozent Expertinnen befragt werden, kommt die ARD-Tagesschau nur noch auf 16 Prozent und ZDF aktuell auf 9 Prozent.

Frauen sind für TV-Nachrichten keine Expertinnen. Grafik: Gender Equality Media

Wenn Frauen als Expertinnen fungieren, werden sie durch geschlechtsspezifische Stereotype gekennzeichnet. Zu gesellschaftlichen Themen sprechen Frauen deutlich häufiger als in den relevanten Kategorien Politik und Wirtschaft, wenn auch nur halb so lang wie Experten. Wir leben im 21. Jahrhundert und es gibt genug Expertinnen – daher dringender Handlungsbedarf Expertinnen zu allen Themenbereichen zu Wort kommen zu lassen.

Geht es um Unterhaltung, dürfen Frauen ein wenig sagen. Grafik: Gender Equality Media

Frauen werden seltener beim Namen genannt

Frauen kommen insgesamt nicht nur seltener zu Wort, sondern werden dann auch seltener mit Namen vorgestellt. Aufgrund der Verteilung der Sprechanteile in Nachrichtensendungen überrascht es nicht, dass nur 30 Prozent der Namensnennungen auf Frauen entfallen und 70 Prozent auf Männer. Unter allen von Frauen gesprochenen Beiträgen wird bei 36 Prozent ein Name genannt, bei Männern liegt dieser Wert bei 49 Prozent.

Der wesentliche Faktor, ob der Name einer Person in den TV-Nachrichten genannt wird, stellt die Position der*des Sprechenden dar. Bei Moderator*innen werden in 17 Prozent der Fälle den Name genannt, bei Beitragssprechenden sind es schon 32 Prozent und Expert*innen werden mit 94 Prozent nahezu immer mit Namen vorgestellt. Da fast nur Experten zu Wort kommen, werden auch nur diese benannt. Die Unterschiede in den Sprechanteilen zwischen Männern und Frauen sindn unglaublich hoch und nicht gerecht verteilt: Männer sprechen zu Themen, die länger in Nachrichtensendungen behandelt werden und häufiger aus Positionen mit höherer Relevanz.

Auch Namen sind für Frauen überflüssig. Grafik: Gender Equality Media

Ergebnisse überraschen nicht

Frauen sind weltweit und über alle  Medien hinweg unterrepräsentiert. Schon in unseren  Bildstudien zeigt sich eine Unterrepräsentation von Frauen. Aber nun ist es bewiesen: Auch bei Nachrichtensendungen ist Gleichberechtigung der Geschlechter noch nicht vorhanden. Damit die öffentlich-rechtlichen ihr selbst gestecktes Ziel der Chancengleichheit erreichen können, besteht dringender Handlungsbedarf bei den Redaktionen mehr Diversität, auch in Bezug auf geschlechtliche Identitäten, bei der Auswahl zuzulassen und somit hör- und sichtbar zu machen.

„Wir finden keine Frau“ darf keine Ausrede mehr sein. Sie ist nicht nur peinlich und veraltet, die Ausrede verliert durch Datenbanken wie beispielsweise Speakerinnen.org oder The Brussels Binder auch total an Glaubhaftigkeit.

+++ Die komplette Studie könnt ihr hier herunterladen +++

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