ESC der deutschen Medienlandschaft: taz und stern im Vergleich

Netta in der taz

Screenshot: taz

Während der Eurovision Song Contest gestern vielleicht zum Klatschen animierte, veranlasst uns die Berichterstattung dazu, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Ausschlaggebend ist der musikalische Beitrag der israelischen Kandidatin Netta und nicht zu vergessen: ihr Aussehen. Ein exzentrischer Kleidungsstil, eine Figur abseits der Mainstream-Schönheitsideale und auch noch einen Song im “Sinne der MeToo-Debatte” – Die Medienwelt ist aufgeregt! Wir haben für euch mal die Schlagzeilen der Größten überblickt.

Ganz im Sinne des Musikwettbewerbs stehen bei uns die taz und der Stern im Ring. An wen wir 12 Punkte geben und wer leer ausgeht, wird wie so oft bereits in der Headline deutlich. Hier zunächst ein Beispiel für eine sachliche, komprimierte Aufmachung – taz 12 points!

Und nun ein Beispiel für eine plakative, sexistische Ausschmückung einer Schlagzeile – diesmal im Stern! Anhand dieser Worte wird bereits offensichtlich, in welche Richtung die jeweiligen Artikel gehen. Während sich die taz  für ein Portrait der Künstlerin entscheidet, das zugleich in einen gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs gesetzt wird, arbeitet der Stern herrlich ironisch gegen all das, was Netta in ihrem Song “Toy” erzählt. Das “Vollweib” hat nämlich starke Konkurrenz bekommen. Und das auch noch von einem “schönheitsoptimierten Busenwunder” a.k.a. Eleni Foureira, der Kandidatin für Zypern.

Um es nun aber mal auf die musikalische Ebene zurück zu bringen: „Innovativer Spaß-Pop gegen sexy Ethno-Pop“ – so schreibt es Stern

Aber nun also zur Punktevergabe für den Inhalt der Artikel: Einen politischen Song gegen Sexismus als “Spaß-Pop” abzutun, weil er satirische Elemente enthält? Aber nur, wenn der Ethno-Pop der Konkurrentin sexy ist. Wie die musikalischen Beiträge tatsächlich einzuordnen sind, versteht  wiederum die taz – zumindest den von Netta, denn dieser ist inhaltlich relevant und erwähnenswert. Eleni Foureira sowie die anderen Teilnehmer*innen werden hingegen nicht thematisiert.. Man konzentriert sich auf den starken, inspirierenden Beitrag, den es hervorzuheben gilt – in der trällernden, heilen Welt des ESC ein relevanter Bruch, der einer ironischen Abrechnung mit der sexistischen Musikszene gleicht.

Uuuuund 12 points gehen an…

Screenshot: stern

Neben dem kleinen musikwissenschaftlichen Exkurs im taz-Artikel, versteht es Ulrich Gutmaier, Kulturredakteur, eine gesellschaftliche, aber auch politische und popkulturelle Ebene aufzuzeigen. Somit misst er nicht nur dem gegenwärtigen Be

itrag von Netta im ESC-Halbfinale eine gewisse Relevanz zu, sondern versteht es auch, alles in etwas weit größeres einzuordnen, indem er den Pop in Israel thematisiert. Homophobie und Antisemitismus als strukturelle Probleme der Musikszene werden aufgezeigt und mit Nettas “Toy” kontextualisiert – informativ und vor allem weitsichtig.

Die taz bekommt von uns 12 Punkte für ihren Artikel. Warum Berichterstattungen in diesem Stil noch immer eine Seltenheit in den großen Tagesmedien darstellt, ist nur schwer nachzuvollziehen. Viel lieber werden Ereignisse nach Plakativität durchforstet, um sich an der Oberfläche fest zu krallen und offensichtliche, “gesellschaftskonforme” Stories zu verbreiten – wie beschränkt einige Artikel dadurch werden, lässt sich im direkten Vergleich, wie hier, schön unterstreichen. Mit Nettas Sieg am gestrigen Abend kann aber immerhin ein Fortschritt im gesellschaftlichen Diskurs verbucht werden – wie heuchlerisch oder doch wertvoll der Sieg ist, ist dann aber wieder ein anderes Thema.

Screenshot: Stern

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