„Der Hass sitzt in den Köpfen“ – im Gespräch mit Renate Künast, Anne Roth und Jasna Strick
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- 26.07.2019
Noch ganz geflasht vom NETTZ-Förderpreis für Engagement gegen Hassrede im Netz, steht schon ein weiteres Highlight bei uns an. Wir freuen uns mega, dass wir nach diesem schönen Event drei beeindruckende Aktivistinnen interviewen konnten: Renate Künast (Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen), Anne Roth (Referentin für Netzpolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag) und Jasna Strick (Aktivistin und Autorin). Alle drei engagieren sich auf verschiedene Weise für das Internet als Safe Space für Frauen*. Sie protestieren gegen digitale Gewalt gegen Frauen*, schreiben Texte oder Bücher über Hass im Netz und Feminismus und fordern lautstark Verbesserungen.
Sie pushen die öffentliche Debatte mithilfe von Bewegungen wie dem No Hate Speech Movement (Renate Künast), Vorträgen bei Events wie dem Chaos Computer Club (Anne Roth) oder durch die Initiierung und Verbreitung von Hashtags wie #aufschrei und #ausnahmslos (Jasna Strick). Mit Johanna sprachen sie über digitale Gewalt gegen Frauen*, Hassrede in den Medien, die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Gegenbewegungen und vieles mehr.
Liebe Frau Künast, liebe Frau Roth, liebe Frau Strick. Wir haben uns bei einer Arbeitssession zum Thema “Internet als Safe Space für Frauen*” beim Community-Event von Das NETTZ kennengelernt. Warum muss das Internet für Frauen* sicherer werden?
Künast: Frauen und Mädchen sind überdurchschnittlich häufig von Hass und Gewalt im Netz, sogenannter „digitaler Gewalt“, betroffen. HateSpeech Cybergrooming, Doxing, Sexploiting oder Cyber-Stalking sind Teil dieser digitalen Gewalt gegen Frauen. Das Netz muss für Frauen sicherer werden, denn es ist unser gutes Recht uns auch hier ohne die Welle von Hass bewegen zu können.
Strick: Das Internet muss nicht nur für Frauen sicherer werden, sondern für viele Menschengruppen. Dass das Internet ein diskriminierungsfreier Raum ist, ist leider ein Wunsch, der nie erfüllt wurde. Es gibt Rassismus, geschlechtsbezogene Gewalt, Homofeindlichkeit usw. und dagegen sprechen wir uns aus.
Roth: Für Frauen wie für alle anderen Menschen ist es wichtig, sich im Netz frei äußern zu können, ohne befürchten zu müssen, deswegen angegriffen zu werden. Das gehört zur Meinungsfreiheit und damit elementar zur Demokratie dazu. Wenn bestimmte Gruppen am öffentlichen oder semi-öffentlichen Diskurs nicht mehr teilnehmen, weil sie befürchten, angegriffen, beschimpft oder bedroht zu werden, dann haben wir als Gesellschaft ein Problem, und für die einzelnen Betroffenen ist das natürlich auch überhaupt nicht hinnehmbar.
Besonders Frauen, die ihre Meinung öffentlich darstellen, werden online angegriffen
Sie sind als Politikerinnen, Autorinnen und Aktivistinnen Personen des öffentlichen Lebens. Wie präsent ist Hassrede in Ihrem beruflichen Umfeld?
Strick: Also Feminist*innen sind Hass ausgesetzt, seitdem es sie gibt. Der wurde früher häufiger analog ausgedrückt – hier lohnt zum Beispiel ein Blick in die Propagandamaterialien gegen Frauen, die für ihr Wahlrecht gekämpft haben. Heute sind eben viele Feminist*innen aktivistisch im Netz unterwegs und müssen sich mit Bedrohungen, Beleidigungen, Identitätsdiebstahl und viel mehr herumschlagen.
Roth: Als Referentin einer Bundestagsfraktion trete ich persönlich nicht viel in Erscheinung, deswegen erlebe ich das persönlich wenig. Aber natürlich beobachte ich solche Angriffe bei anderen viel, insbesondere bei Abgeordneten.
Künast: Ich erfahre sie fast täglich in den sozialen Netzwerken auf Facebook und Twitter durch Menschen, die mich politisch und persönlich als Frau angreifen, statt sich sachlich mit meiner politischen Arbeit auseinanderzusetzen. Es ist erschreckend, welches Frauen- und Menschenbild bei manchen vorherrscht.
Was genau hat sich in den letzten Jahren verändert? Sind Frauen* heute generell mehr Hass ausgesetzt als früher oder gibt es auch positive Entwicklungen?
Strick: Misogynie ist nichts Neues und das gilt auch für andere Formen von Hass. Ich bin keine Freundin davon, so zu tun, als wäre das Internet Schuld an solchen Denkmustern. Der Hass sitzt in den Köpfen.
Roth: Sexismus hat es immer gegeben, das sehe ich auch so. Mein Eindruck ist aber, dass sich die Situation im Netz doch sehr verändert hat, seit Soziale Medien selbstverständlich zum Alltag der meisten Menschen gehören. Solange das Netz ein verhältnismäßig überschaubarer Raum war, gab es mehr Akzeptanz bestimmter Regeln, der Netiquette, die es in Variationen in verschiedenen Netz-Sphären gab. Das hat nicht verhindert, dass in stark männerdominierten Räumen auch Sexismus akzeptiert wurde, und das Netz, als Ort vor allem für technikaffine Menschen, war eben auch zunächst vor allem von Männern bevölkert – also gab es dort fast überall auch mehr oder weniger starken Sexismus. Aber die Situation, die wir heute haben, dass es also für die meisten Frauen fast selbstverständlich dazu gehört, bei den banalsten Begegnungen von unbekannten Personen angegriffen zu werden, da sehe ich schon eine Veränderung.
Künast: Die Hemmschwelle scheint in der Anonymität und durch den fehlenden persönlichen Kontakt im Netz offenbar niedriger. Aber es geht hier im Wesentlichen nicht um unorganisierte Einzelne, der Hass wird im Netz vielmehr strategisch eingesetzt. Von den Identitären bis zur AfD wird gezielt versucht, die demokratischen Institutionen und dort handelnde Personen abzuwerten, schlecht zu machen. Deren Ziel ist die Zersetzung der Demokratie und der Versuch Menschen zum Rückzug zu zwingen. Dieses Frauenbild erlaubt keine aktive Frauen. Das Wort dafür ist: Rechtsextremismus.
Roth: Positiv ist vielleicht, dass das mittlerweile den meisten klar ist, dass das stattfindet und eine sehr problematische Entwicklung ist. Das NetzDG löst das Problem überhaupt nicht, aber mir scheint, dass gerade viele Menschen auf der Suche nach sinnvollen Lösungen sind und das ist ja schonmal was.
Beratungsstellen und Frauenhäuser sind katastrophal unterfinanziert
Jede dritte Frau* in Deutschland ist von sexualisierter Gewalt betroffen. Dies wird jedoch vielfach nicht als politisches, sondern als persönliches Problem der Betroffenen verstanden. Erleben wir bei Hass gegen Frauen* im Netz eine Wiederholung der Debatte?
Künast: Im Netz zeigt sich, was leider immer noch vorhanden ist, wie viele glauben, es wäre ihr Recht, Frauen mit sexualisierter Gewalt zu drohen. Die Debatte ist also immer noch da. Und ich will es ganz klar sagen: Ich erwarte, dass die Männer sich dagegen auch erheben.
Strick: Vielfach ist Onlinegewalt eine Fortführung von Gewalt, die offline bereits stattgefunden hat. Zum Beispiel, wenn die Täter*innen ehemalige oder aktuelle Beziehungspartner*innen sind. Wenn sie gegen Frauen, queere Personen oder Sexarbeiter*innen gerichtet ist, ist auch Gewalt im Netz stark sexualisiert. Da geht es dann zum Beispiel um Beschreibungen von sexualisierten Übergriffen oder das Verbreiten von Nacktbildern – teils echt, teils gefälscht.
Roth: Was sich auf jeden Fall wiederholt, ist das Wegsehen. Die Beratungsstellen und Frauenhäuser sind katastrophal unterfinanziert, und dasselbe sehen wir gerade beim Thema digitale Gewalt, gerade jenseits von HateSpeech. Es gibt kaum Ressourcen für kompetente Beratung zu digitalen Formen von Stalking, Überwachung, Lokalisierung, Revenge Porn, Identitätsdiebstahl usw. und bislang gibt es nicht mal repräsentative Studien oder Statistiken über das Ausmaß. Das ist völlig inakzeptabel, aber eben auch durchaus bekannt, wenn wir uns herkömmliche Formen von sexualisierter Gewalt ansehen.
Viele Frauen* dokumentieren HateSpeech und zeigen die Täter*innen an. Warum verlaufen dennoch so viele Anzeigen ins Leere?
Künast: Der Rechtsextremismus hat sich gut geschult! Bewusst und systematisch werden – teilweise von Mehrfach-Accounts – Drohungen und Hass ausgesprochen, der exakt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Anmerkung: BGH) umgeht. Ich hoffe wir kommen demnächst dazu, dass der BGH sich mit solchen Fällen beschäftigen muss. Aber wir gehen jetzt auch den zivilrechtlichen Schritt, weil das früher eingreift. Die Initiative „HateAid“ stellt Gelder für diese Prozesse zur Verfügung. Ich arbeite bei einigen meiner Fälle mit ihnen zusammen und hoffe, dass dadurch Geld in die Kassen kommt, mit dem andere dann unterstützt werden können.
Roth: Wenn HateSpeech angezeigt wird, fängt es schon damit an, dass Polizei und Staatsanwaltschaft das Problem oft nicht verstehen, nicht dafür ausgebildet sind, oft selbst keine vernünftige IT-Ausstattung haben und selbst wenn sie wollten, nicht die Mittel haben, das Problem nachzuvollziehen und zu verfolgen. Tatsächlich werden dann einzelne Beschimpfungen lediglich als Beleidigung erfasst und Untersuchungen /Ermittlungen sofort wieder eingestellt. Dass das massenhafte Vorkommen von Beschimpfungen und Bedrohungen aber ein ganz anderes Phänomen ist, wird dann überhaupt nicht verstanden. Es gibt Spezialdezernate für sexualisierte Gewalt und es gibt welche für IT-Sicherheit, aber keine, die beides und dazu noch andere Diskriminierungsformen im Blick haben und angemessen darauf reagieren.
Strick: Genau, Gewalt im Netz wird noch nicht von allen wichtigen Stellen als Gewalt anerkannt. Ein weiterer Grund fehlender Anzeigen ist, dass es oft um Personengruppen geht, die es eh schwer haben Übergriffe gegen sie anzuzeigen. Viele Leute sehen sich ja auch auf Polizeidienststellen wieder mit Gewalt konfrontiert, zum Beispiel weil sie trans oder schwarz oder in der Sexarbeit tätig sind. Dann sind auch angeblich die Täter*innen so schwierig zu finden, sodass viele Anzeigen sehr schnell eingestellt werden.
Sexistische und diskriminierende Sprache ist ein Problem
Hass im Netz hat oft anonyme Quellen. Boulevardblätter hingegen titeln freigebig von “Schlampen” oder “Ludern” und setzen Vergewaltigung anhand von Begriffen wie “Sex-Attacke” mit Sex gleich. In welchem Zusammenhang steht für Sie Hassrede zu sexistischer Berichterstattung?
Künast: Der Zusammenhang ist offensichtlich. Auch diese Art unterstützt und fördert die Auffassung, die Frauen zum Objekt herabwürdigt.
Strick: Hass im Netz ist gar nicht zwingend anonym – viele schreiben Kommentare unter deren Namen, der auch in den Ausweisen stehen oder lassen bei E-Mails direkt die Signatur ihrer Arbeitsstelle stehen. Insgesamt ist es problematisch, wenn sexistische oder auch andere diskriminierende Sprache verwendet wird. Ich sehe da ein Henne-Ei-Problem, schließlich sind auch Boulevardblätter in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden. Ich würde das also größer betrachten und allgemein anprangern, dass es schlimm ist, welche Begriffe im Zusammenhang mit Frauen immer noch irgendwie okay sind und welche Zuschreibungen, auch zum Beispiel rassistischer Art, wieder sagbar geworden sind in den letzten Jahren.
Beleidigungen und Bedrohungen unter Klarnamen
Bei beiden Problemen wehrt die Gegenseite Kritik damit ab, dass die Freiheit geschützt werden müsse – die Freiheit und ggf. Anonymität im Internet sowie die Pressefreiheit im Journalismus. Ist das der Deal; ein Entweder-oder?
Künast: Das darf kein Widerspruch sein. Manchmal denke ich, es mache Sinn, das einfach mal für ein paar Jahre umzudrehen. Die Männerwelt würde ausrasten.
Roth: Entweder-oder? Überhaupt nicht. Tatsächlich, das hat Jasna Strick schon gesagt, schreiben viele Autor*innen aggressive, beleidigende, bedrohende Nachrichten unter ihrem vollen Namen und rechnen überhaupt nicht damit, dass das vielleicht Folgen haben könnte. Hat es bisher ja auch in den seltensten Fällen. Hingegen ist die Option, sich anonym im Netz bewegen zu können, elementar für alle, die von Diskriminierung und darauf basierender Verfolgung betroffen sind: Sie könnten sich nämlich sonst noch weniger frei äußern.
Worauf es aber kein Recht gibt oder geben darf, ist alles das, was im analogen Leben im Strafrecht bereits geregelt ist: Bedrohungen, Beleidigungen, Volksverhetzung, Nötigung, Veröffentlichung heimlich aufgenommener Bilder oder ihre Manipulation und noch viel mehr. Da hat selbstverständlich auch die Pressefreiheit ihre Grenzen.
Zivilgesellschaftliche Initiativen wie #wirsindmehr oder Reconquista Internet setzen sich aktiv gegen Hassrede in sozialen Netzwerken ein. Wir von GEM kämpfen gegen sexistische Berichterstattung, als institutionalisierte Hassrede gegenüber Frauen* und LGBTIQ* Menschen. Welches Gewicht tragen solche Initiativen für Sie im Kampf für mehr Gleichberechtigung?
Künast: Wir brauchen diese Initiativen dringend zur gegenseitigen Unterstützung. Sie sind übrigens zwingender Bestandteil eines demokratischen Systems. Wenn die Zivilgesellschaft sich nicht mehr engagiert, wäre es 5 vor 12. Gerade deshalb müssen wir stets darauf hinweisen, was die Rechtsextremen und damit auch die AfD will: uns und damit die Demokratie mindestens mundtot machen.
Strick: Viele der Initiativen, die sich gerade frisch gebildet haben, haben leider kein gutes Auge für Diskriminierungen und deswegen auch nicht für Gleichberechtigung. Sie setzen sich für ein besseres Diskussionsklima ein – das ist löblich. Trotzdem sind das jetzt nicht immer unbedingt Menschen, denen die Anliegen von Frauen, behinderten Menschen oder trans Personen an erster Stelle stehen. Ich finde es wichtig, hier immer wieder zu betonen: Hass kann eben nicht jede*n treffen, sondern ist meistens vor allem für ohnehin schon diskriminierte Gruppen ein Problem. Da fehlt es manchen Initiativen an einem Grundverständnis für die größeren Zusammenhänge. Umso froher bin ich natürlich über Gruppierungen, die sich explizit feministisch positionieren.
Rechte bedrohen aktiv Gleichberechtigung, Würde und Freiheit
Welche anderen Akteur*innen sollten sich noch stärker in diesem Bereich engagieren?
Künast: Logisch, alle demokratisch gesonnenen Männer. Und endlich auch der Bundesinnenminister Seehofer. Er redet von Heimat – das heißt übrigens ohne Angst leben zu können.
Roth: Das Netz gehört zum Leben und das wird so bleiben. Es ist Ort der öffentlichen Diskussion, es gehört zur Gesellschaft und damit muss es das Interesse von uns allen sein, dass alle gleichermaßen daran teilhaben können, denn sonst verabschieden wir uns von den grundlegenden Ideen, die unsere Gesellschaft als Leitideen prägen: Gleichberechtigung, Würde, Freiheit, auch Rechtsstaatlichkeit im übrigen. Natürlich müssen die immer wieder eingefordert und aktiv umgesetzt werden, online wie offline und gerade jetzt, wo sie von rechts so sehr in Frage gestellt werden. Daran müssen sich alle beteiligen, die das Feld nicht denen überlassen wollen, die jede Form von Diversität abschaffen wollen.
Strick: Da es im Kampf gegen Onlinegewalt darum geht, sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft einzusetzen, ist die Antwort ganz klar: alle.
Das ist das Schlusswort. Frau Künast, Frau Roth und Frau Strick wir danken Ihnen für dieses Interview.