Weil uns keine Zeit mehr für Scheinheiligkeit bleibt – Unser offener Brief an die Konrad-Adenauer-Stiftung

Drei Tage ist es her, da ging die Nachricht durch die Medien dass die Konrad-Adenauer-Stiftung eine Veranstaltung namens „Gender – Instrument der Umerziehung?“ veranstaltet. Eine Veranstaltung, geleitet von Personen die Homosexualität als Krankheit deklarieren und ernsthaft glauben es gibt Menschen die anderen ihre “kranke” Sexualität aufzwingen wollen. Oh, the irony.

Drei Tage sind vergangen liebe Konrad-Adenauer-Stiftung, die wollten wir euch geben, damit ihr angemessen reagieren könnt, euch eine Antwort ausdenken könnt. Gekommen ist nichts. Daher nun hier, unser offener Brief an euch, mit viel Gefühl statt nur mit Zahlen, weil ihr hier kein wissenschaftliches Thema, sondern Menschenleben angegriffen habt.

 

Hallo Konrad-Adenauer-Stiftung, hier Gender Equality Media.

 

Hallo KAS, ihr veranstaltet eine Tagung mit dem Titel „Gender – Instrument der Umerziehung?“ und fragt euch, was die Gender-Ideologie will. Wir fragen uns ja was ihr, und eure Referenten mit “Umerziehung” meint, ja, was ihr denn wollt.

Fürchtet ihr die „Umerziehung“ von Menschen in Personen, die nicht in euer enges, heterosexistisch zweigeschlechtliches Weltbild passen? Schlechte Nachrichten: Wir existieren längst. Und wir versuchen nicht heterosexuelle cis Personen „umzuerziehen“, keine Sorge. Was wir fordern, ist umgekehrt ein Ende von Gewalt und Ausgrenzung.

Aber wenn „Umerziehung“ jedoch bedeutet von allen Mitgliedern dieser Gesellschaft zu verlangen, andere unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung als menschliche Wesen, und mit einem verdammten Mindestmaß an Respekt zu behandeln, dann ja, fangen wir doch bitte mit der Umerziehung an. Nicht mit der Umerziehung von Männern in Frauen, oder von heterosexuellen in homosexuelle Menschen. Das will niemand. Davon hat niemand etwas. Sondern, fangen wir an mit der Umerziehung von Sexisten, Homophoben und Transphoben in anständige Mitglieder der Gesellschaft, die es schaffen, ihren Mitmenschen alle Rechte zuzuerkennen, die sie für sich selbst reklamieren.

 

Wer eigentlich eine Gender-Ideologie hat

„Gender-Ideologie” ist kein passender Begriff für diejenigen, die es wagen auszusprechen, dass unsere Gesellschaft nicht nur aus einer (oder maximal zwei) Menschentypen besteht. Denn Gender-Ideologie ist, wenn ihr euch einredet, Menschen müssten möglichst schnell heiraten und Kinder zeugen, um einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Gender-Ideologie ist das, was Männern einredet, Frauen würden ihnen etwas wegnehmen, wenn sie einen gleichberechtigten Anteil an allen Lebensbereichen fordern. Gender-Ideologie ist, was Personen als Rechtfertigung dient, um diejenigen anzugreifen, zu demütigen und zu schädigen, die es wagen, so zu leben wie sie sind, anstatt sich in ein gesellschaftliches Ideal zu verbiegen. Niemand von uns fordert jedoch von denen, die diesem Ideal entsprechen, sich zu ändern. Alles, was wir wollen, ist genauso in Frieden gelassen zu werden, wie ihr es ebenso für euch wünscht.

So zu tun, als wäre diese Tagung nur ein neutraler Beitrag zu einer offenen gesellschaftlichen Debatte, ist einfach scheinheilig. Sie ist so scheinheilig wie die auf euren Podien diskutierte „Bedrohung“. Wir wehren uns gegen euren Versuch, es durch eine vermeintlich neutrale Debatte salonfähig zu machen Minderheiten in unserer Gesellschaft das Recht auf Gleichstellung abzuerkennen. Sexismus, Homo- und Transhass – wir weigern uns hier das Wort Phobie falsch zu benutzen – bedrohen Leben und Gesundheit der betroffenen Menschen, die schon längst mit Gewalt in unserer Gesellschaft zu kämpfen haben:

130 durch Homo-und Transphobie motivierte Straftaten gab es im ersten Halbjahr 2017.

44% der trans* Personen in Europa werden innerhalb eines Jahres Opfer von Gewalttaten.

58% der trans* Personen in Deutschland berichten von Belästigung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität.

25% der trans* Menschen in Deutschland berichten von verweigerten ärztlichen Leistungen.

Eine von fünf Mädchen und Frauen unter 25 haben schon sexuelle Gewalt erlebt.

Unter den homo- und bisexuellen Kindern und jungen Erwachsenen betrifft sexuelle Gewalt 32% der weiblichen und 21% der männlichen Befragten.

Die Rechte von Homo- und Transpersonen werden in unsererer momentanen gesellschaftlichen Realität beschnitten, ebenso wie ihr Recht dazu, sich über diesen Umstand zu beschweren. Wie eine Realität aussehen kann, in der vielfältige Identitäten mit- und nebeneinander Platz haben, ist keine Frage, die sich mit einem Satz beantworten lässt. Und dementsprechend bedarf sie natürlich Diskussion. Aber diese Diskussion ist längst Teil dessen, was innerhalb der Gesellschaft passiert; eben vor allem innerhalb von Gender Studies, von LSBTIAQ-Interessensverbänden, von Politiker_innen mit Offenheit für Gender-Fragen gefordert wird. Was wir für diese Diskussion NICHT brauchen, sind Menschen, die klar und deutlich fordern, andere nur auf Grundlage ihrer Identität oder ihres Lebensentwurfs aus diesem gesellschaftlichen Diskurs auszuschließen.

 

Keine Zeit mehr für Scheinheiligkeit

Eure Veranstaltung ist daher kein Beitrag zu dieser Diskussion, sondern für viele Legitimation zur Beendigung ebendieser. Keine fruchtbare Diskussion kann davon entspringen, sie ist nur Nährboden für die Legitimation weiterer Gewalt. Wir leben in einer Zeit von AfD und Trump, die Hemmschwelle Hass zu verbreiten scheint immer mehr zu sinken. Wir haben keine Zeit mehr für Scheinheiligkeit, keine Zeit mehr für dieses ganze „nicht so gemeint“ Theater. Wir nehmen diese Veranstaltung persönlich, weil sie es ist. Sie ist ein Angriff, auf uns und Menschen, die wir lieben. Und sie und wir erwarten immer noch eine Antwort.

 

Das GEM-Team

Unterzeichner_innen:

Schwulenreferat Mainz
sookee, Rapmusikerin, Aktivistin
Andrea Knabe-Schönemann,Betriebswirtin, Systemadmin, Kulturoptimistin

Toni Behrendt
Cirilla Lanz
Vestine Ghimbasan
Isolde Busch
Ina Fraatz, M.A.
RosaLena Größler
Anja Dornblüth-Röhrdanz
Nicole Ruth
Nikola Diem
Werner Gaßner – Queeraktivist, München

PS:Wer unseren offenen Brief mit unterzeichnen will, kann sich gerne bei uns melden, wir fügen eure Namen gerne als Unterzeichner*innen hinzu.

 

Quellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2017: Dokumentation des Fachaustausches „Gesellschaftspolitische und medizinische Entwicklungen im Umgang mit Transsexualität und Transidentität“ (21.11.2016). Berlin.

Deutscher Bundestag. 4.8.2017: Schriftliche Fragen. mit den in der Woche vom 31. Juli 2017 eingegangenen Antworten der Bundesregierung.

FRA – European Union Agency for Fundamental Rights: Being Trans in the European Union: comparative analysis of EU LGBT survey data. Luxembourg: European Union Agency for Fundamental Rights (FRA).

Heßling, A., Bode, H. 2015: Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14- bis 25-Jährigen. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativen Wiederholungsbefragung. Köln.

 

  • Meike

    Ich möchte den Brief gerne unterschreiben.

    • genderequalitymedia

      liebe Meike, gerne den ganzen Namen mit dem du drauf sein willst. Danke 🙂

  • Toni Behrendt

    Mich bitte auch mit aufnehmen.
    Toni Behrendt

  • Ulf Köhler

    „Die Rechte von Homo- und Transpersonen werden in unsererer momentanen gesellschaftlichen Realität beschnitten, ebenso wie ihr Recht dazu, sich über diesen Umstand zu beschweren.“
    Nein, dem ist nicht so. Entweder wir hier eine aufgeweichte Variante des Wortes „Rechte“ verwendet, oder es ist inhaltlich falsch.

    Ich gehe mit vielen der Inhalte konform, aber dies ist eine Darstellung die nicht richtig ist. Schade, sonst hätte ich gerne unterzeichnet.

  • Cirilla Lanz

    Mich bitte auch mit aufnehmen:
    Cirilla Lanz

  • Isolde Busch

    Könnt ihr mich bitte auch aufnehmen: Isolde Busch. Vielen Dank!

  • Vestine Ghimbasan

    Mich auch aufnehmen bitte bitte!

    Vestine Ghimbasan

  • Chris

    Auf der einen Seite muss ich euch recht geben, dass wir in unserer Gesellschaft mehr Rücksicht auf andere nehmen müssen. Jedoch stört mich der Fett-gedruckte Teil mit den Statistiken. Ohne eine Quellenangabe sind diese Zahlen weder aussagekräftig noch relevant. Woher habt ihr diese bezogen? Hoffentlich nicht aus der Quelle: Internet 😉

    Außerdem würde mich mal interessieren, woran ihr festmacht, das Schwule/Lesben/Transen weniger Rechte haben, als alle anderen?! Nirgends steht in den Gesetzen, das Gleichbehandlung, Meinungs- und Redefreiheit nur für Heteros gelten.

    Und fragt euch mal woher der Hass kommt, den ihr immer heraufbeschwört.
    Liegt es vielleicht daran, dass ihr allen Leuten eure sexuelle Orientierung auf die Nase binden müsst? Mich interessiert es nicht, wem oder was du deinen Schwanz in den Arsch rammst, ich will davon auch gar nix wissen – egal ob du Mann oder Frau bist oder schwul/Hetero. Das ist Privatsache und sollte auch nicht anders behandelt werden! 🙂

    • genderequalitymedia

      Hallo Christoph, die Quellen stehen genau darunter vom BMFSFJ oder dem Bundestag. wir denken dass das genug zur Qualität deines Kommentars sagt.

  • Ina Fraatz

    Ich möchte auf der Liste eingetragen werden, vielen Dank!
    Ina Fraatz, M.A.

    @Ulf Köhler
    Zitat:
    <>
    Meine Antwort:
    Solange jene Themen, welche im „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus –
    Positionen und Maßnahmen zum Umgang mit Ideologien der Ungleichwertigkeit und den darauf bezogenen Diskriminierungen“ von 2017 angedacht waren, nicht ausreichend umgesetzt sind, werden Rechte u.a. von LGBTI*-Personen beschnitten, die ihnen in diesem Land zustehen, siehe Grundgesetz!

  • Ulla

    wirklich ein toller und berührender Brief! vielen Dank dafür!

  • Gerd

    Guten Tag,
    auch, wenn es vielleicht banal klingen mag: Nehmt bitte das nächste Mal einen andere Schriftfarbe. Ich konnte Euren Text nämlich nur sehr angestrengt lesen. Danke und viele Grüße
    Gerd

  • Rosalena Größler

    Danke für diesen offenen Brief.
    Ich unterzeichne ihn auch.
    RosaLena Größler

  • Nicole Ruth

    Auch ich unterzeichne gerne.
    Guter, wichtiger Text!

    Nicole Ruth

  • Anja Dornblüth-Röhrdanz

    Ein wirklich sehr guter Appell. Möge er zumindest zum Nachdenken bringen, was ich in der KAS nicht ernsthaft zu hoffen wage. Ich unterzeichne gern: Anja Dornblüth-Röhrdanz

  • Ion

    Sehr gut geschrieben. Danke!
    Ich möchte auch unterzeichnen – Ion Frahm

  • Nikola Diem

    Hey liebes genderequalitymedia.org Team,

    vielen Dank für die Stellungnahme.
    Was die da treiben ist für mich jenseits von Gut und Böse und einer Stiftung, die einer demokratischen Partei nahe steht, nicht würdig.

    Ich unterschreibe auch.

    Liebe Grüße

    Nikola Diem

  • Interessante Links und Nachrichten05.02.2018ff - Aleks Weltweit

    […] Die Konrad-Adenauer-Stiftung stellt sich wieder in den Diensten des Hasses. Bekommen dafür einen offenen Brief unterschiedlicher LGBTI Gruppen http://genderequalitymedia.org/weil-uns-keine-zeit-mehr-fuer-scheinheiligkeit-bleibt-unser-offener-b&#8230; […]

  • Werner Gaßner

    Hallo, ich würde den offenen Brief gerne mitzeichnen: Werner Gaßner – Queeraktivist, München

    • genderequalitymedia

      Lieber Werner, ein Teil von unserem Team sitzt auch in München – gerne melden!

Leave Your Comment Here