„Sexpositiv und frauenfeindlich: Gang Bang im Berliner Garten von Eden“

Sex”positive” Räume, KitKat Club, die “Kinky Szene” Berlins: unsere Gastautorin hat sich in eine Szene begeben, in der sie Grenzenlosigkeit in jeglicher Art gesucht hat. Was sie gefunden hat, war das, was es auch in der vermeintlich “spießigen” Mainstreamgesellschaft gibt: verkappte Hetero-Männer, die offenbar Angst haben, vor dem, was eigentlich gerade dort ein Thema sein sollte: gleichberechtigte Verhütung. Wir beschäftigen uns tagtäglich mit sexualisierter Gewalt in Deutschlands Medienlandschaft. Genauso sehr, wie es hier um das Aussprechen von Fehlern geht, liegt uns auch etwas daran, dem einen Platz zu geben, was sonst keinen Raum im medialen Diskurs findet. Daher geben wir hier einem Bericht einer Betroffenen Platz.

Ein Gastbeitrag von Yulia Myshka*


Ein absurder Maskenball, gehüllt in mystische Wolken von Nebelmaschinen und Nasenschnee:
Disco Bizarre, das war die legendäre Samstagnacht im KitKatKlub – einer Berliner Institution für all die Praktiken, Phantasien und Lebensarten, die tagsüber in der Gesellschaft keinen Raum finden. „Magisches Theater – Nur für Verrückte!“, lautet die Inschrift über dem verspielten Eingangstor – ein Zitat aus Hermann Hesses Steppenwolf, welches den Protagonisten vor Betreten eines Zauberkabinettes davor warnt, seine geistige Gesundheit angesichts der irrsinnigen Erscheinungsformen seiner Phantasie zu verlieren. Das ist das Risiko, welches ein Individuum eingeht, wenn es versucht, sich aus seinem Kontext zu lösen und sich auf die Suche nach einem ungeordneten, fremden Raum zu begeben – Die Befreiung vom eigenen Körper mittels dissoziierender Betäubungsmittel; die Befreiung von seinem sozialen Umfeld auf Wanderschaft in neue, freie Welten. Was erwartet den Menschen, der sich als Element eines strukturierten Kollektivs abtrennt und einen Weg ohne Straßennamen beschreiten möchte?

Voll jugendlichem Sturm und Drang begab ich mich also auf Wanderschaft: Auf der Flucht vor dem gemäßigten Bürgertum in eine Idealwelt, in der keine religiöse Doktrin lebensfremde Sexualmoral postulieren sollte oder von der Norm abweichende Menschen mit Tabus zum Schweigen gebracht werden – niemand sollte hier in die Verdammnis oder Unsichtbarkeit verdrängt werden. Eine romantische Vision, diese paradiesische Parallelgesellschaft mit dem ehrlichen Ziel, die menschliche Lust ohne Scham und Höllenangst wiederzubeleben, freie Liebe ohne Grenzen. Es begann vor zwei Jahren, als ich von zwei Klubnacht-Bekanntschaften zu einer privaten Orgie im kleineren Kreise eingeladen wurde. Die Festivität entpuppte sich als Eignungstest zur Aufnahme in eine exklusive (und in der Kinky-Szene heißbegehrte) Gruppierung unter der Leitung zweier Männer. Das allegorische Gruppenbild zeigt Adam und Eva vor dem Sündenfall, nackt und natürlich, umgeben von fruchtbarem Grün und einem weiten blauen Himmel. The Garden, so der symbolkräftige Name, ist zugänglich für eine begrenzte Anzahl von offenen Frauen und willigen Männern, die auf regelmäßiger Basis an den selbstorganisierten Veranstaltungen teilnehmen. Nur die Harten (im Geben und Nehmen) kommen in den Garten, dazu zählen die ausdauerkräftigsten Männer mit viagrainduzierten Erektionen sowie ihre unterwürfigen weiblichen Pendants.

Was ursprünglich als legere Versammlung sexpositiver Lustbejaher begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer ordentlich strukturierten Organisation mit Untergruppierungen aus potentiellen Neulingen, die auf probeweisen Sexparties sorgfältig selektiert wurden nach Kriterien der Schönheit und Nützlichkeit. Auch in der Sphäre revolutionärer Freiheit gibt es Verhaltensregeln und ungeschriebene Gesetze, die man besser befolgen sollte, wenn man Wert auf Ansehen und eine gesicherte Position legt. Wer sich mit den Führern anlegt, riskiert es, von der nächsten geheimen Gruppensexveranstaltung ausgeladen und für unbestimmte Zeit auf die undankbare Nachrücker-Warteliste gesetzt zu werden. Andererseits besteht für die fleißigsten der Bienchen die Chance auf einen Status jenseits der beschränkten Vorstellungen bürgerlicher Ambitionen: Wer sich durch hervorstechende Glanzleistungen und eindrückliche Performationen einen Namen verschaffen konnte, ist sich in dieser zweiten Realität, in der bezaubernden Dunkelheit des Nachtlebens, allgemeiner Wertschätzung und Anerkennung sicher. Dieser Status wiederum ermöglicht Gästelistenplätze, Einladungen zu exklusiveren Events und allerlei sonstige Privilegien, die – selbstverständlich auf einer weit irdischeren und normaleren Ebene – in der Gesellschaft da draußen nur der Oberschicht vorbehalten sind. Wenn bei Tageslicht das Geld regieren soll, dann gilt bei Nacht das Gesetz des Geschlechts und der Lust.

Ein Gesetz der Gleichheit und Gerechtigkeit? Nicht, solange der Körper im Spiel ist und die Grenzen nur in eine Richtung überschritten werden. Ein großes Lob zunächst an safe, sane and consensual und den offenen, verantwortungsbewussten Umgang mit Geschlechtskrankheiten:  Dieser bildet die ungeschriebene Grundvereinbarung unter Teilnehmer*innen von Orgien und regelt all diejenigen Grenzüberschreitungsbereiche, die bei der reziproken Benutzung und Befriedigung diverse Gesundheitsrisiken für alle bergen. Egal ob weiblicher oder männlicher Körper, jeder könnte potentiell dem Angriff von Viren und Bakterien ausgesetzt sein. Diese Wechselseitigkeit besteht jedoch nicht bei Verhütung. Das Desinteresse für ein Problem, das nur das Leben und den Körper weiblicher Personen mit funktionsfähigen Reproduktionsorganen bestimmt, liegt im Mangel an Selbstbetroffenheit. Heterosexualität ist meist einseitig invasiv ausgestaltet: cis-Männer werden nicht penetriert – zumindest nicht so, dass sie schwanger werden könnten, Kinder austragen oder abtreiben müssten. Sie müssen sich nicht schützen.

Dass die Schwangerschaftsprävention exklusive Angelegenheit der Frau ist, bekam ich zu spüren, als ich es wagte, in unserem sexpositiven Kollektiv das unbehagliche Thema der gleichberechtigten Verhütung anzusprechen: Die perfekte Verhütung für den Mann ist da—aber warum nutzen wir sie nicht? Neben verächtlichen Kommentaren gab es auch konstruktive Kritik mit dem Hinweis, die Diskussion doch bitte in eine extra Verhütungsgruppe zu verlegen mit Teilnehmer*innen, die sich für die Thematik interessieren würden; denn sie sprenge den Rahmen eines angenehmen Freitagnachmittags all derer, die es nicht betreffe. Teils wohlwollend paternalistisch, teils offen misogyn und hasserfüllt versuchten ein halbes Dutzend Männer gemeinsam, mich davon zu überzeugen, dass  Verhütung in einer Sexgruppe „off-topic“ sei; Es gab unter mehr als fünfzig Mitgliedern kein einziges, das mir beistand (außer einzelne direkte, privaten Nachrichten von Frauen an mich, die sich jedoch nicht öffentlich trauten, mir zuzustimmen). Einen so harten Gang Bang (aus Worten statt Schwänzen, versteht sich) hatte ich selbst in den Hochphasen meiner Exzentrik noch nie erlebt. Mit der Drohung, meinen kostbaren Platz im schönen Garten zu verlieren, wurde ich von den Gruppenvätern schließlich zum Schweigen gezwungen. – Das tat ich natürlich nicht, sondern bin selbst aus dem Paradies spaziert, aus der extravaganten Miniatur-Version einer phallozentrischen Gesellschaft zurück in die Mainstream-Männerwelt (nicht viel besser, aber weniger heuchlerisch) – über mir schwebend die verblassende Erinnerung an die regenbogenfarbene Glitzerpracht der Tanzfläche im KitKatKlub, auf der alle sich lieben sollten – egal wer, egal wie, Alles fickt alles. Hört sich nach vielen Optionen an. Nur leider verhütet eben nicht alles.  In einer geld- und männergesteuerten Gesellschaft gibt es ungenügend Finanzierung für Projekte, die das ändern würden, um Frauen die alleinige Last von den Schultern zu nehmen, Depressionen von der täglichen Pille zu bekommen oder Regelschmerzen von der Kupferspirale oder die Summe eines halben Gramm Koks für die Pille danach auszugeben, wenn mal das Kondom reißt. Da aber auch Männer leiden, wenn ihr sexuelles Erlebnis durch eine dünne Schicht Latex eingeschränkt wird, ist die Angelegenheit von ihrer Seite aus erledigt. Deshalb bleibt für die heterosexuelle Frau ohne Kinderwunsch keine freie Wahl und Selbstbestimmung über ihren Körper, sondern eine eingeschränkte Entscheidung zwischen schlechten und weniger schlechten Möglichkeiten, sich zu schützen.

Das Fazit meiner Wanderschaft: Es erwartet einen nichts Neues. Keine Befreiung, weder vom Körper noch vom sozialen Umfeld. Keine neuen, freien Welten; die Straßen sind die gleichen, nur die Straßennamen sind verkehrt. Man kennt es von Filmen wie The Beach, aber auch aus der Liebig 34 in Berlin: Die Menschen hassen den Kapitalismus, aber sie bleiben dennoch in ihrer rebellischen Gegen-Gesellschaft weiterhin fest im kapitalistischen System gefangen. Die Freigeister der Garden-Group blicken auf das durchschnittliche Bürgertum wie Lenin auf die Bourgeoisie, und doch sind sie vielmehr der unreflektierte und normale Kern des bürgerlichen Systems selbst: Sie sind die idealtypische Spiegelung einer heteronormativen, sexistischen und misogynen Gesellschaft, die ihre weiblichen Mitglieder ausnutzt, unterdrückt und zum Schweigen bringt, weil die Männer davon profitieren.

Yulia Myshka, Philosophiestudentin aus Berlin*
* Künstler*innenname 

  • Marian

    Ja, krasser Text. Danke für den Einblick!

  • Garik Schall

    Sehr interessanter Beitrag mit einem authentischen Einblick in die Berliner Szene. Das Fazit ist sehr ernüchternd: Verhütung wird immer noch als reine Frauensache anstatt als Teamwork angesehen.

  • Amelie

    Sehr schöner Einblick und wortgewandt geschrieben. Bin begeistert!

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