Offener Brief: Der Kopf von Reichelt reicht uns nicht!
- #Allgemein, #metoo, #unfollowpatriarchy, Feminismus in Deutschland, Feminizid, Medien, Online, Print, TV
- 24.10.2021
Sexistische Berichterstattung, Machtmissbrauch und Diskriminierungen in Redaktionen sind keine Einzelfälle. Die Recherchen deutscher Investigativ-Journalist*innen sowie die jüngsten Berichte der „New York Times“ brachten den „Bild“-Chef und Ober-Macker Julian Reichelt zu Fall. Doch das Problem hört hier nicht auf: Männer schützen Männer – immer wieder! Das alles ist viel größer, dahinter steckt ein System. Sexismus in den Redaktionen und Berichterstattung fängt bei Lokalzeitungen an und hört bei der BILD auf. Das muss sich ändern!
Gender Equality Media veröffentlicht Offenen Brief an deutsche Redaktionen und Verlage
In Redaktionsrichtlinien, Leitbildern oder Visionen sprechen sich fast alle deutschen Redaktionen für die Förderung von Diversität und den Abbau von Diskriminierung und Sexismus aus. Durch unsere jahrelange Arbeit, unsere wöchentlichen Medienscreenings und in direkten Gesprächen mit Journalist*innen und Medienschaffenden sowie auf Grundlage unserer nicht-repräsentativen Umfrage sind wir jedoch zu folgenden Beobachtungen gelangt:
1. Strukturell-patriarchale Probleme werden nicht benannt und eingeordnet.
2. Die Zusammensetzung der Führungsebene und Redaktionen bildet nicht unsere Gesellschaft in all ihren Facetten ab.
3. Freiheit und Neutralität kann im Hinblick von wirtschaftlichen Interessen nicht sichergestellt werden.
Faktenbasierter, qualitativer und freier Journalismus sind höchste Güter unserer demokratischen Gesellschaft. Der Einfluss von Medien und die damit einhergehende Verantwortung ist stärker denn je. Aber genau diese Verantwortung müssen Medien, Redaktionen und Journalist*innen auch wahrnehmen. In einem Offenen Brief fordern wir deutsche Redaktionen auf, Stellung zu beziehen, im Sinne der Istanbul-Konvention zu handeln und systematische Diskriminierung jeglicher Art (durch transparente, nachverfolgbare Maßnahmen) abzubauen. Medien sind Teil und Lösung des Problems: Sie tragen einen Großteil zur Meinungsbildung bei und haben somit auch Verantwortung. Sie tragen einen Großteil zur Meinungsbildung bei und müssen entsprechend verantwortungsbewusst berichten. Dazu gehört auch, systemische Gewalt gegen Frauen in der Berichterstattung entsprechend einzuordnen. Nur wenn sie das tun und die Gewalt nicht verharmlosen, sondern als das benennen, was sie ist, können sie Verbündete sein. Hier: Der Offene Brief zum Download.
Krasse Umfrageergebnisse bestätigen unsere Arbeit
In einer nicht-repäsentativen Umfrage haben wir Medienkonsument*innen zur deutschen Berichterstattung zum Thema Gewalt gegen Frauen befragt. Die Ergebnisse sind sehr eindeutig: 0 Prozent der Befragten finden die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen in Deutschland aussreichend. Auch die generelle Thematisierung und Einordnung von Gewalt gegen Frauen bemängeln rund 83 Prozent (61% eher Nein / 22% Nein) der Konsument*innen. Bei der Frage „Welche Themen im Bereich des intersektionalen Feminismus zu selten in den deutschen Medien thematisiert werden“, waren sich die Befragten auch einig. Nur um einige zu nennen: Femizide/Feminizide, Verknüpfung von Sexismus und Rassismus, Ableismus, Kapitalismuskritik, LGBTQ*-Feindlichkeit.
Die Berichterstattung von Gewalt gegen Frauen muss von allen Medien priorisiert und eingeordnet werden. Wenn Frauen umgebracht werden und/ oder Gewalt erfahren ist das kein Einzelfall oder ein Versehen, dahinter steckt ein patriarchales System. In unserem Offenen Brief fordern wir daher alle Redaktionen auf: Stellt den Kampf gegen Gewalt an Frauen an höchste Stelle.
P. Redvoort
Ich finde die Initiative Gender Equality Media wirklich toll und wichtig, aber bedienen Sie sich nicht mit den Formulierungen „Der Kopf von Reichelt reicht uns nicht“ und „Julian Reichelts Kopf ist gefallen“ einer gewalttätigen Sprache, die eigentlich nicht zu Ihrem Engagement gegen Gewalt an Frauen passt und weiter polarisieren kann?
MfG Peter R.
Martina Blum
Was mir fehlt, ist überhaupt Berichterstattung! Frauenthemen finden in den klassischen Massenmedien einfach gar nicht statt, sondern werden glatt ignoriert. Ein prominentes Beispiel: Vom GEF im Juni in Paris gab es NULL Berichterstattung im deutschen TV und NULL in großen Tageszeitungen. Wie ist das bitte möglich, dass die Anwesenheit von mehr als 100 Staatschefs, Zusagen der Staaten in Höhe von 40 Mrd. Dollar und Namen wie Hillary Clinton, Melinda Gates, und Kamala Harris keinerlei Berichterstattung bekommen? An fehlenden Pressemitteilungen hat es jedenfalls nicht gelegen! Das gleiche gilt für die Frauenrechtskommission 2021: Exakt die gleichen Forderungen, wie sie in der FRK formuliert wurden, wurden später 1:1 in die Menschenrechtskommission eingebracht. Über diese Forderungen wurde in deutschen Massenmedien berichtet und die Forderung explizit erwähnt. Quelle: Menschenrechtskommission.
Fragen? Das Ganze hat System!
Wir brauchen neue Mediengesetze – wir sollten die Hälfte des Platzes auf den Politikseiten von Tageszeitungen und die halbe Sendezeit von Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen beanspruchen dürfen, um Geschlechtergerechtigkeit weiter nach vorn zu bringen!