Body Talk – Spielt unsere Kritik dem Mediensexismus in die Hände?

Immer wieder wird uns vorgeworfen, wir würden Fotos weiter verbreiten, die wir eigentlich kritisieren. Kurz gesagt: Fotos von halbnackten Frauen in sexistischer Darstellung. Sollten wir zur besseren Kritik, genau diese Schlagzeilen und Fotos veröffentlichen? Oder wäre es besser, diese weg zu lassen, um die Verknüpfung von Überschrift und Bild, nicht noch weiter zu verbreiten? Sollten wir die Aufnahmen vielleicht sogar zensieren, Körperteile also abschneiden oder verdecken? Auch bei uns im Team gibt es gemischte Meinungen dazu ein Pro/Contra-Kommentar von Rebecca und Lisa.


Lisa ist gegen eine Zensur:

Nur, wenn wir die Bilder unkommentiert teilen würden, trügen wir zur Verbreitung von Bilds traurigem Gedankengut bei. Wir müssen zeigen, was schief läuft, um Leute zu mobilisieren – und das geht am besten, wenn wir Schlagzeile und Bild gemeinsam präsentieren.

Frauen = Sex?

Wir teilen die Bilder auf Facebook und Twitter, um auf das Problem der medialen Sexualisierung von Frauen aufmerksam zu machen. Dabei haben wir die Bilder oder die abgebildeten Frauen selbst nie kritisiert. Und doch müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, ob wir auf die Kritik reagieren sollten, indem wir die Fotos zensieren. Aber was ist denn eigentlich auf den Aufnahmen zu sehen? Was ist das kritisierbare – was an den Bildern rechtfertigt eine Zensur?

Zu sehen sind Frauen – oder besser: Ihre Körper. Wir sehen Rücken, Hintern, Brüste oder einfach eine bestimmte Art von Körperhaltung. Sind weibliche Körperteile wirklich per se anrüchig, sodass man sie verstecken muss? Wir sehen Personen, die teilweise freiwillig, teilweise unfreiwillig in beruflichen oder auch Alltagssituationen fotografiert wurden. Zum Teil haben sie offensichtlich Freude an der Aufnahme, zum Teil wirken sie, als hätte man sie kalt erwischt. Ist vielleicht nicht die Abgebildete Person das Problem, sondern die Art und Häufigkeit des Abbildens? Und wurden wir nicht im Laufe unserer Sozialisation durch Zeitungen wie Bild daran gewöhnt, dass der weibliche Körper quasi gleichzusetzen ist mit „Sex“ und deshalb nicht in die Öffentlichkeit gehört?

Körperteile sind nicht das Problem

Die meisten Aufnahmen, die Bild und andere Medien verwenden, sind wahrscheinlich freiwillig entstanden. Was wir an ihnen kritisieren, ist nicht das Verhalten der abgebildeten Frauen, sondern ausschließlich die Art und Weise, wie und wie häufig Bild die Fotos präsentiert. Erstens: Bild berichtet viel seltener über Frauen als über Männer. Zweitens: Wenn Bild über Frauen berichtet, sind sie meist halbnackt und durch eine Schlagzeile sexualisiert und der Fokus des Berichts liegt auf ihrem Äußeren. Von dem starren Fokus auf weiße schlanke Frauen ganz zu Schweigen. Die problematischen Auswirkungen darauf, wie Frauen wahrgenommen werden, sind offensichtlich und durch verschiedene Studien belegt. Aber wenn wir die Bilder zensieren würden, entstünde dann nicht der Eindruck, das Problem sei nicht die Art der Abbildung, sondern der Körper der Frauen selbst?

Und wie verhält es sich mit Paparazzi-Fotos? Manche Aufnahmen sind unfreiwillig entstanden und die abgebildeten Frauen haben einer Veröffentlichung nie zugestimmt. Wir wünschen uns respektvolle und vielfältige Berichterstattung und wollen nicht, dass jede einzelne Alltagssituation als Clickbait benutzt wird. Wenn wir die Brüste oder Hintern aber verdecken, bringen wir damit unsere Kritik zum Ausdruck?

Zensur und Scham

Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass ich als Frau aufpassen muss, was ich mit meinem Körper tue. Schon früh wurde ich darauf hingewiesen, nicht so kurze Shorts zu tragen oder dass mein bauchfreies Oberteil andere Menschen aufregen könnte. In der Schule hatte ich viele Freundinnen, die gerne mit tiefem Ausschnitt herumliefen. Mehrmals bekam ich mit, wie meine Klassenlehrerin sie aufforderte, sich zu bedecken. Keiner meiner männlichen Klassenkameraden wurde jemals wegen seines Muskelshirts oder seiner kurzen Shorts kritisiert.

Es ist ein Ausdruck des Patriarchats, dass der weibliche Körper per se als etwas anrüchiges und stets sexualisierbares wahrgenommen wird. Als etwas, das versteckt oder gar „zensiert“ werden muss. Wenn wir von klein auf nackte weibliche Körper mit Sex verbinden, weil sie uns überall in den Medien auf diese Weise präsentiert werden, dann ist das ein Problem. Aber der weibliche Körper selbst ist niemals das Problem.

 

Symbolbild für Sexismus in den Medien

Symbolbild: Denn Frauen* werden in den Medien immer wieder sexualisiert und objektifiziert.

Rebecca ist gegen das Zeigen und die Verbreitung der Fotos:

Nacktheit ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil, Menschen, die sich nackt (oder leicht bekleidet) zeigen, machen das oft, weil sie sich in ihrem Körper wohl fühlen, weil sie die Bewegungsfreiheit schätzen, gerne mit dem ganzen Körper Sonne tanken wollen, oder was auch immer. Und das ist super. Menschen aller Körpertypen sollten auf jeden Fall die Möglichkeit erhalten, ihren Körper so zu zeigen, wie sie es gerne tun. Wenn darum zu einer Meldung gehört, wie eine Person sich körperlich präsentiert – wir erinnern uns zurück an unseren Blogbeitrag über Jennifer Rostock’s Hengstin– sollten wir dieser Selbstpräsentation weiterhin Raum geben.

Abbildungen schaffen Normalität

In den allermeisten unserer Screenshots steht allerdings nicht eine Person, ein Ereignis, ein künstlerisches Werk etc. im Mittelpunkt, sondern die Art, wie Medien darauf reagieren. Das bedeutet, wir arbeiten mit einem vorgefilterten Pool an Bildern: Denn die Menschen, die Medien gerne leicht bekleidet abbilden, sind zu einem großen Teil weiß, und fast ausschließlich schlank und cis-weiblich. Wo sie es nicht sind, wird gerade diese “Abweichung” entweder fetischisiert oder als Makel dargestellt (oder beides). Das schafft Normalität. Und die Normalität, die auf den Bildschirmen ankommt, ist: Menschen, die sich nackt zeigen können, sehen so aus. Und: Menschen, die so aussehen, sollten nackt gesehen werden. Für viele Lesende bedeutet das entweder: So, wie du aussiehst, solltest du dich nicht nackt zeigen. Oder: So, wie du aussiehst, ist dein Hauptkapital dein Körper.

Wir wissen, dass ein konstantes sich-Vergleichen mit unrealistischen Idealen mit vielen negativen Dingen korreliert: Zurückhaltung, den eigenen Körper zu benutzen (z.B. beim Sport), Selbstzweifel, Fokus des Selbstbilds auf körperliche anstatt von intellektuellen Eigenschaften. „Selbst-Objektifizierung“ wird sogar in Verbindung mit Dingen, wie Depression oder Drogenkonsum gebracht. Weil der menschliche Geist keine Maschine ist, gibt es keine einfache Gleichung, die besagt, „Fünf Bilder von Frauen, die fünf Kilo leichter sind als du, erhöht den Tabakkonsum um drei Zigaretten die Woche.“

Mehr Vielfalt muss her

Aber: So lange wir im Ausgleich keine vergleichbare Anzahl von Bildern anderer Körpertypen liefern, werden wir zu der Normalität „nackt zu zeigen = schlank, weiß, weiblich“ beitragen. Und warum soll das nötig sein? Dass das Bild einer Person betitelt wird mit „Wem gehören diese Kokosnüsse“ oder „Achtung, heiße Kurven“ – dass das nicht okay ist, lässt sich auch erklären, ohne jedes Mal das Bild anzuhängen. Eine Erklärung wie „ein Strandbild von Celebrity X wird betitelt mit …“ tut es genauso. Dabei bin ich natürlich ausdrücklich nicht dafür, Bilder zu zeigen, und dabei bestimmte Körperregionen z.B. mit einem Balken zu verdecken. Dadurch würde sehr wahrscheinlich nur der Eindruck entstehen, dass Brüste, Po oder andere Körperteile von Frauen etwas sind, das versteckt werden muss.

Ich bin außerdem auch nicht dafür, dass wir gänzlich auf die Wiedergabe von kritikwürdigen Bildern verzichten. Wo es darum geht, Muster aufzuzeigen – z.B. bei der Zusammenstellung von Frauenbildern, denen der Kopf abgeschnitten wurde, oder die unnötig auf die Brust fokussieren – da kann und soll das Bildmaterial natürlich weiterhin genutzt werden. Aber vielleicht müssen unsere Follower nicht schon beim Scrollen durch unseren Twitterfeed mit denselben einseitigen Bildern bombardiert werden, wie alle anderen Medien sie auch liefern.

  • Arne Sauer

    Beide Argumentationen sind schlüssig. Aber das Nicht-Veröffentlichen der kritisierten Bilder birgt die Gefahr, dass die notwendige Kritik daran entweder verpufft, weil nicht visuell nachvollzogen werden kann oder dass sie als Prüderie wahrgenommen wird. Letzteres ist auch ein Argument gegen ein Zensur mit schwarzen Balken oder ähnlichem.
    Eine Möglichkeit wäre vielleicht direkt im Bild mit Schrift und grafischen Mitteln, wie Pfeile oder „Einkreisen“ den Augenmerk auf die Hauptkritikpunkte zu lenken und so das Bild nicht für sich allein auf die Betrachter/-innen wirken zu lassen.

    • genderequalitymedia

      Das ist auch eine gute Option – wir werden uns sehr bald mit einer Entscheidung melden. 🙂

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