2 Monate, 20 Medien, 82 Prozent gewaltverharmlosende Berichterstattung – eine Bilanz von Gender Equality Media

Ohne Bild, Focus und Stern würde es ein Drittel weniger gewaltverharmlosende Berichterstattung geben. 

Medien verharmlosen regelmäßig (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen – so gut wie jeden Tag! Wir lesen über “Familiendramen”, “Beziehungstaten” oder sogenannte “Sextäter”. Eines haben all diese Formulierungen gemein – sie verfälschen Tatbestände (Vergewaltigung ≠ Sex), bagatellisieren und leugnen das strukturelle Ausmaß von Gewalt gegen Frauen systematisch. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-) Partner umgebracht, im Kontext der medialen Berichterstattungen hingegen wird auf diese Tatsache kaum hingewiesen. Deswegen haben wir von Oktober bis November 2019 in 20 Medien nachgezählt, wie und wie oft über (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen berichtet wird. Mit einem Algorithmus wurde aufgezeichnet, welche Begriffe sie nutzen, wenn es um Frauenmord und systematische Gewalt gegen Frauen geht.

Untersucht wurden 10 regionale und 10 überregionale Medien

 

Konzentriert haben wir uns bei der Zählung auf Schlagwörter, die uns immer wieder in unseren täglichen Medienscreenings begegnen und die wir mit unserer Arbeit unter dem Hashtag #UnfollowPatriarchy auf Social Media anprangern. Die neutrale Berichterstattung unter Verwendung von Begriffen wie “Tötung”, “Mord”, “Vergewaltigung” oder “Belästigung” haben wir außen vor gelassen. Diese Begriffe beschreiben lediglich Gewalttaten, spiegeln aber nicht notwendigerweise die Problematik systematischer Gewalt gegen Frauen wider: Frauen werden umgebracht, weil Sie Frauen sind. Deswegen haben wir zusätzlich zu den gewaltverharmlosenden Begriffen ebenfalls gezählt, wie oft “Frauenmord” und “Femizid”  verwendet werden; also Begriffe, die explizit auf das strukturelle Problem hinweisen.

Schlagworte - Größe entspricht Trefferanzahl

Schlagworte – Größe entspricht Trefferanzahl

 

Gezählt haben wir einzelne Artikel. Wenn also ein Schlagwort auftaucht und auf mehreren Seiten des Mediums über mehrere Tage hinweg verlinkt ist, wurde dies als ein einziger Treffer gezählt. 

Insgesamt haben wir in den zwei Monaten 258 Artikel gezählt, in denen entweder gewaltverharmlosende Formulierungen oder “Frauenmord” bzw. “Femizid” benutzt worden sind. In nur 18% dieser 258 Fälle verwendeten Medien entweder “Frauenmord” oder “Femizid”. In 82% der Fälle wurden hingegen Begriffe benutzt, die (sexualisierte) Gewalt verharmlosen – also in 4 von 5 Artikeln der gescreenten Medien.

Unsere bisherigen Erfahrungen aus unseren täglichen Medienscreenings werden bestätigt: Bild, Focus und Stern sind die Medien, die regelmäßig und systematisch Gewalt an Frauen sprachlich verharmlosen. Denn aus den 20 untersuchten Medien machen diese drei allein knapp 40 Prozent der 211 Fälle an problematischer Berichterstattung aus. Anders gesagt, es würde über ein Drittel aller gewaltverharmlosender Berichterstattung wegfallen, wenn Bild, Focus und Stern darauf verzichteten würden.

Wir haben auch analysiert, welche der 14 gewaltverharmlosenden Schlagworte die geläufigsten sind. Hierfür haben wir zwischen Partnerschaftsgewalt und sexualisierter Gewalt unterschieden, obwohl beide Formen der Gewalt oftmals ineinander greifen. Besonders gern verklären Medien Gewalt gegen Frauen als “Beziehungstat”, dicht gefolgt von “Familiendrama”. Diese Begriffe rücken nicht nur partnerschaftliche Gewalt ins Private (Beziehung) sondern banalisieren diese auch als Einzeltaten (Drama oder Tragödie). Darüber hinaus wird mit der Beschreibung eines “Eifersuchtsdramas” eine Art Tatmotiv angezeigt. Medien nehmen die Täterperspektive ein und verharmlosen Gewalttaten maßgeblich. Denn die Zurückweisung einer Frau oder eine Trennung sind niemals Mordmotive, es sind vielmehr Besitzansprüche von Männern, die zu Femiziden führen.  Im Fall von sexualisierter Gewalt gegen Frauen ist ähnliches zu beobachten – Vergewaltigungen werden zu Sex deklariert und Vergewaltigungsopfer oder Zwangsprostituierte zu “Sexsklavinnen”. Was ein Vergewaltiger vielleicht als Sex empfindet, ist niemals Sex für das Opfer. 

Der Vergleich zwischen regionalen und überregionalen Medien zeigt, dass sowohl die Verwendung gewaltverharmlosender als auch der Begriffe “Femizid und “Frauendmord” in den überregionalen Medien überwiegt. Dies lässt sich damit erklären, dass Gewaltverbrechen gegen Frauen mit einem bestimmten Nachrichtenwert, unabhängig vom Tatort , häufiger in überregionalen Medien aufgegriffen werden. Regionale Medien berichten hingegen tendenziell eher über lokale Gewaltverbrechen. Am auffälligsten sind die Unterschiede im Fall von “Beziehungstat”, mit 36 Treffern in überregionalen und bloß der Hälfte an Treffern (18)  in regionalen Medien. Im Fall von „Sextäter“ (auch „Sex-Täter“) hingegen überwiegt die Trefferanzahl mit 11 bei den regionalen zu 9 in den überregionalen Medien. Deutlich frappierender sind die Unterschiede bei der Verwendung von “Frauenmord” mit nur 6 Treffern in regionalen Medien im Vergleich zu 26 bei überregionalen Medien. 

Blicken wir zurück auf die einzelnen Medien und die am häufigsten verwendeten gewaltverharmlosende Begriffe: mit 16 Treffern benutzt der Stern “Beziehungstat” am häufigsten. Auch bei der Süddeutschen Zeitung (SZ) ist diese Wortschöpfung mit 5 Treffern in zwei Monaten nicht ungeläufig. Spitzenreiter im Fall von “Familiendrama” ist ganz deutlich die Bild mit 11 Treffern – eine Beobachtung, die uns auch aus dem Medienscreening nicht unbekannt ist.

Bei der Häufigkeit der Verwendung von “Sextäter” und “Sexsklavin” ( auch “Sex-Sklavin”) ließen sich kaum gravierende Unterschiede zwischen den Medien feststellen. So gab es je 5 Treffer im Fall von “Sextäter” bei der Bild, Express und der Mopo. “Sexsklavin” hingegen wurde im Vergleich zu den anderen Medien auffallend häufig von der Welt benutzt, dicht gefolgt vom Focus mit 3 Treffern.

Es gibt aber auch Vorreiter*innen in der Berichterstattung. Bei der Verwendung des Begriffs “Femizid” sticht ganz klar die taz hervor (11 Treffer). Aber auch bei Medien wie der Frankfurter Rundschau (fr) oder der SZ konnten insgesamt 5 Treffer verzeichnet werden. Nichtsdestotrotz sollte sich auch hier die Freude in Grenzen halten, denn die Trefferzahl von “Beziehungstat” war bei diesen beiden Medien mindestens genauso hoch. 

Ein überraschendes Ergebnis war außerdem die relativ hohe Trefferzahl bei “Frauenmord” im Fall des Sterns mit 4 Treffern im Vergleich zu 2 bei Focus, Tagesspiegel und der Welt. Aber auch bei diesem Ergebnis ist Vorsicht geboten. Denn wie die anderen Zahlen zum Stern gezeigt haben, handelt es sich um ein Medium, das mit insgesamt 27 Treffern nach der Bild und dem Focus am dritthäufigsten verharmlosend über Gewalt gegen Frauen berichtet. 

Die taz geht mit gutem Beispiel voran und zeigt, dass es auch anders geht: die strukturelle Dimension von Gewalt gegen Frauen wird in der Berichterstattung klar benannt, durch Begriffe wie “Femizid” oder “Frauenmord”. Auch andere wichtige deutsche Medienplayer stoßen langsam entsprechende Veränderungen voran. So hat sich die dpa öffentlich dazu bekannt, keine gewaltverharmlosenden Begriffe wie “Beziehungstat”, “Eifersuchtstragödie” oder “Familiendrama” mehr zu reproduzieren. 

Medien sind Teil und Lösung des Problems zugleich. Sie tragen einen Großteil zur Meinungsbildung bei und haben somit auch Verantwortung. Nur wenn Journalist*innen verantwortungsvoll und im Kontext über die systematische Gewalt gegen Frauen berichten und Gewalt als solche benennen und sie nicht verharmlosen, können sie Verbündete für ein Ende von Gewalt gegen Frauen sein. 

Wir bedanken uns herzlich für die finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung des Projekts beim NETTZ, bei Christopher für die technische Hilfe sowie bei Laura für die tollen Grafiken.

 

Download der kompletten Grafik hier

  • Anja Friedl

    Zuerst einmal finde ich es gut, dass durch diese Untersuchung eine belastbare Grundlage geschaffen worden ist, inwieweit die Printmedien Tötungen an Frauen durch Verwendung bestimmter Begriffe verharmlosen. Allerdings meine ich, dass es nicht nur auf bestimmte Begriffe ankommt, vielmehr sollte man auch untersuchen, inwiefern der Text mit den zweifelhaften Begriffen insgesamt verharmlosend wirkt. Man sollte immer schauen, ob der verharmlosende Begriff nur als Synonym gebraucht wird, das den Text lesbarer machen soll. Das finde ich dann in Ordnung.
    Positiv möchte ich zwei Beispiele hervorheben: Vor einigen Wochen hat die ZEIT den 322 Opfern, die 2018 ihr Leben durch eine „Beziehungstat“ verloren haben, ein Gesicht gegeben, indem sie zu jeder Frau den Ort der Tat und die Tatumstände recherchiert hat. In einem anderen Artikel (Stern oder ZEIT-Magazin) wurde der Fall von Mia aus Kandel, die von einem Migranten ermordet wurde, einem Fall gegenübergestellt, der sich nur weinge Kilometer entfernt von diesem ersten Fall zugetragen hat. Im Fall von Mia war die Berichterstattung überregional, der Gerichtssaal proppenvoll; im zweiten Fall, in dem ein Rentner seine Frau umgebracht hat, nachdem er sie jahrzehntelang misshandelt hatte, wurde nur regional berichtet. Die Gerichtsverhandlung fand weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Hier sieht man deutlich, wie mit zweierlei Maß gemessen und so die Hysterie und das Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung angeheizt werden.
    Sehr schlimm finde ich aber, dass sogar die Polizei, vor allem im Fall von Geflüchteten, Misshandlungen von Frauen als „Privatsache“ abtut. Wo sollen sich misshandelte Frauen denn sonst hinwenden, wenn nicht an die, die wir mit unseren Steuergelden dafür bezahlen.

  • Hilt Astrid

    Danke für diesen wichtige Recherche!

  • Felix Haas

    Liebe Kolleginnen, vielen, vielen Dank für diese Analyse und das Spiegelbild!
    Ich schreibe euch vom stern und will einen kurzen Einblick geben: Wir hatten im vergangenen Frühjahr eine große Diskussion bei uns in der Redaktion genau zu diesem Thema. Uns war aufgefallen, dass wir leider Inflationär das Wort „Familiendrama“ verwendeten. Daraufhin beschlossen wir, das Wort zu vermeiden. Dass wir in eurem Testzeitraum nun vor allem das Wort „Beziehungstat“ verwendet haben, ist einerseits gut, weil wir die Kollegen gebrieft hatten, nicht mehr „Familiendrama“ zu schreiben, aber es ist andererseits natürlich eine Katastrophe, weil es keine Verbesserung ist. Unser Commitment war, dass wir grundsätzlich die Tat so konkret es geht beschreiben und keine verallgemeinernden und diskriminierenden Formulierungen verwenden wollen. Von daher hilft diese Analyse von außen sehr, es besser zu machen und all unsere Kollegen und erst recht die Ressortleiter und CvD’s zu briefen, besser darauf zu achten. So ein gesammelter Überblick tut – so schmerzlich das gerade ist – total gut.
    Habt ihr die 23 Fälle zufällig per Link zugänglich? Wir würden gerne einen Blick darauf werfen, falls möglich!
    Viele Grüße und vielen Dank, Felix Haas

    • Britta Häfemeier

      Hey Felix – sorry für die späte Rückmeldung und danke für die Erklärung! Wir relaunchen grad unsere Webseite und da haben wir manchmal technische Probleme – wir melden uns asap bei dir! Viele Grüße – Britta

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