Wenn dir die schwedische Botschaft Sex erklären muss – Ein Gastbeitrag aus Schweden

 

Ich muss da was loswerden. Als Schwedin, als Juristin aber auch als Frau kann ich es wirklich nicht auf mir sitzen lassen, wenn durch eine komische Art Stille Post hier bei mir in Stockholm ankommt, was vermeintlich in Stockholm passiert.

 

Der Hintergrund

 

Die Debatte um eine sog. „samtyckeslagsstiftning“ (Einverständnisgesetzgebung) ist in Schweden schon viel älter als die MeToo-Bewegung und wird hier bereits seit 2014 diskutiert. Immer wieder wird bemängelt, dass Vergewaltigungen viel zu selten zur Erhebung einer Klage, geschweige denn einer Verurteilung führen. Es wurde also verständlicherweise als Erfolg betrachtet, als der Gesetzesvorschlag zu einer Reform des Sexualstrafrechts – vom Grundsatz „nein heißt nein“ hin zu „nur ja heißt ja“ – vorgelegt wurde. Man bedenke, dass im schwedischen Parlament sämtliche Parteien, auch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, hinter dem Entwurf stehen. Kritik besteht vor allem aus Zweifeln, ob die Reform in der Praxis etwas bezweckt und wirklich zu mehr Verurteilungen führt. Über die normgebende Funktion des Gesetzes ist  man sich aber im großen Ganzen einig. So weit so gut. Enter – the German Media!

In den Schlagzeilen und Artikeln zahlreicher deutschsprachiger Medien kommt ungenaue, bis hin zu irreführende Berichterstattung vor. Gefühlt geht es hier um eine fahrlässige oder gar gewollte Fehlinterpretation vom Inhalt, Zweck und Auswirkung des Gesetzesvorschlags. Und alle rasten komplett aus. Gemeinsamer Nenner: ziemlich wenig Ahnung vom schwedischen Rechtssystem und anscheinend auch davon, wie Einverständnis funktioniert.
Die üblichste Reaktion lautet wie folgt: „Oh ich muss jetzt immer einen schriftlichen Vertrag unterschreiben lassen, auch zwischen Positionswechseln, um gegenbeweisen zu können, dass ich jemanden nicht vergewaltigt habe! Der Entwurf ist eine Umkehr der Beweislast.” Nein und nein. Gucken wir uns diesen Bullshit mal näher an.

 

Die Wahrheit liegt irgendwo… ganz woanders

 

Erstens, nein, es gibt keine Beweislastumkehr. Es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung und es wird, wie immer, die Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein, Beweise für die Straftaten zu liefern, für die jemand angeklagt ist. Zweitens, ernsthaft, was ist los mit diesem schriftlicher Vertrag-Szenario? Ich weiß, Schopenhauer hat uns geraten, dass ein Argument ad absurdum zu führen ziemlich geschickt sein kann. Aber es ist schon etwas übertrieben zu behaupten, die einzige Art einer falschen Vergewaltigungsanklage zu entkommen wäre, den Partner ein Einverständnisformular unterschreiben zu lassen. Und hier sind die Medien ganz sicherlich daran mitverantwortlich, die eigentliche Regel die aufgestellt wird, falsch zu interpretieren.

Man schreibt, es mache sich strafbar, wer Sex hat, ohne vorher ausdrücklich nach Erlaubnis zu fragen. Der Gesetzesentwurf macht aber deutlich, dass Einverständnis vorliegen muss, indem die Person entweder ausdrücklich zugestimmt hat oder dies durch die aktive Teilnahme am Verlauf der Dinge zeigt. Also können sich wieder alle diejenigen beruhigen, die anscheinend riesige Angst haben, man würde durch eine ausdrückliche Frage die Leidenschaft des Moments kapput machen. Was für ein Luxusproblem, wenn die größte Angst im Verhältnis zu Sex das ist – nur so nebenbei. Sofern der Partner mitmacht, ist eine ausdrückliche Zustimmung also nicht nötig, ebensowenig ein aktives Fragen um Erlaubnis und schon gar nicht ein schriftlicher Vertrag. Und vielleicht ist die Vorstellung jetzt mal nicht *soooo* abwegig, dass man erwartet, dass man sich, sofern Einverständnis nicht auf diese Art gezeigt wurde, mal kurz bei der Person erkundigt, die ja scheinbar regungslos und ohne etwas zu sagen da liegt, ob das was gerade passiert in Ordnung ist?

 

Was das neue Gesetz wirklich bringt

 

Es sind schon einige Fälle vor Gericht gescheitert, als Angeklagte zum Beispiel zugegeben haben, die andere Person habe geweint oder körperlichen Widerstand geleistet. Da sie aber behauptet haben, sie hätten daraus nicht verstanden, der Sex würde gegen den Willen der anderen Person geschehen, konnte kein Vorsatz für die Straftat festgestellt werden. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern mehrere Fälle aufgrund des neuen Gesetzes zu einer Verurteilung führen, aber sollte es nicht eigentlich schon reichen, wenn auch nur ein Opfer in einem System Gerechtigkeit findet, das so viele andere im Stich gelassen hat? Wenn wir anfangen würden, unser Strafrecht danach zu richten wie wahrscheinlich Verurteilungen sind, würde unser Rechtssystem wohl sehr anders aussehen. Und ganz ehrlich, wenn wir uns nicht einmal darauf einigen können, dass Sex ohne Einverständnis, egal wie gezeigt, Vergewaltigung ist, dann haben wir nichtmal einen gemeinsamen Nenner als Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion.

 

Schweden-bashing und “Gender-Wahn”

 

Am Ende stehe ich also hier und frage mich, warum eigentlich die Berichterstattung nicht nur diese Form angenommen hat, sondern sogar von so vielen als glaubwürdig befunden wurde. Anscheinend in dem Ausmaß, dass die schwedische Botschaft sich gezwungen fühlte, die Behauptungen der großen Zeitungen richtig zu stellen. Kann es wirklich sein, dass ausgerechnet der Postillon das Medium wurde, das sich um eine Richtigstellung bemüht hat? Fand es wirklich keiner ein Bisschen unwahrscheinlich, dass Schweden tatsächlich verlangen würde, vor jedem Sexakt und Stellungswechsel ein schriftliches Formular auszufüllen?

Ich denke, es liegt an zwei Sachen: Erstens – Sweden-bashing. So beliebt es früher auch war Schweden als Paradebeispiel für so ziemlich alles zu nehmen, ist es zunehmend in, darauf hinzuweisen, wie das progressive Denken in diesem Land dazu führt, dass alles vermeintlich den Bach runtergeht. Eine Warnung quasi, was passiert, wenn die Gutmenschen hier zu Hause so weitermachen. Und zweitens – der „Gender-Wahn“. Welch Unwort. Baut auf der Prämisse, dass alles was mit Gender zu tun hat lediglich fingierte Probleme sind, deren Lösung eigentlich zur  Einschränkung aller guten Dinge dient. Findet sich in verschiedensten Formen wieder. Aber kein Wunder – es ist schließlich einfacher, reißerischer und sorgt für mehr Klicks, einen Vorschlag sofort ins Lächerliche zu ziehen, statt sich mit ihm konstruktiv auseinanderzusetzen. Wäre der Gesetzesvorschlag nicht eigentlich die perfekte Gelegenheit gewesen, zum Beispiel darüber zu schreiben, was Einverständnis (nicht) ist und sich äußert? Aber mein Gott, dass man sich beim Sex auch noch um das Wohlsein des Gegenüber Gedanken machen soll, das ist halt auch schon echt viel verlangt.

Kristina Hatas  ist Schwedin, Juristin und bloggt für uns aus Stockholm.

  • Hagen

    Danke für den guten Beitrag!

    Was die deutschen Medien daraus machen und damit gerade den populistischen Elementen in der Gesellschaft in die Hände spielen, ist erschreckend.

  • W.J.

    Ich vermute, Sie treffen hier auf die falschen Adressaten: Warum sollte uns das schwedische Sexualstrafrecht mehr angehen, als das norwegische Baurecht? Der ganze Vorfall wurde vermutlich als Vehikel benutzt um eine eigene ideologische Haltung zu verbreiten und vielleicht auch um die metoo Bewegung zu diskreditieren.
    Was das eigentliche Thema angeht: Ich werde den Teufel tun für meine Mitmenschen zu entscheiden was an ihrem sexuellen Verhalten verwerflich ist; dafür fehlt mir das Wissen und die Eignung.
    CU

  • Robert

    Nochmal ganz langsam auch für mich (der insbesondere der schwedischen Sprache nicht mächtig ist und daher nicht einfach nachlesen kann): Wenn unbestritten ist, dass es Sex gab. aber keine Einigkeit, dass Einvernehmen vorlag, Aussage gegen Aussage steht und Partner M sagt, nach seiner Ansicht haette Partner F durch Mitmachen konkludierend gehandelt während F vorträgt, sie haette aus Angst sich nur passiv verhalten aber sicher nicht „mitgemacht“. Ansonsten steht Aussage gegen Aussage, es gibt keine weiteren Beweise. Wird dann M verurteilt oder nicht?

  • Dr.h.c Uwe Zilm

    Super geschreiben Recht herzlichen danke
    Dr.h.c Uwe Zilm

  • Jahresendrant. | Alternativen zur Kapitulation

    […] dass die Falschmeldung – die schwedische Regierung hätte ein Gesetz verabschiedet, nach dem vor dem Sex die Partner […]

  • Gerhard Zinke

    Der 1.April ist doch nur am 1.April !

  • Anita Kienesberger

    Liebe Frau Hatas!
    vielen Dank für diese schriftliche Analyse und die „Richtigstellung – es ist sichtlich mehr als notwendig dies zu tun! Auch die von Ihnen genannten Gründe, warum fast alle Medien europaweit nicht richtig erklären können oder wollen, worum es bei dem neuen Gesetz wirklich geht, sind sehr treffend – Schweden Bashing und Gender Wahn!
    Seit der Einführung des Nordischen Modells in Schweden (Sexkaufverbot) ist das leider kein Randphänomen mehr. Es ist überall spürbar, dass die Sorge die Privilegien zu verlieren, die das Patriarchat den Männern und Mittäter-Frauen im „wilden Mitteleuropa“, noch immer ermöglicht, gross ist.
    Hoffen wir alle, dass die Debatten die durch die meToo Bewegung wieder möglich geworden sind solange nicht enden, bis wirklich eine Gleichstellung der Geschlechter hergestellt ist.

  • Jochen

    „Schweden Bashing“ habe ich noch nie gehört! Tatsächlich habe ich mit 36 Jahren noch nie etwas negatives über Schweden gehört oder gedacht. Naja…
    Was die Beitragsschreiberin nicht versteht, ist dass es nicht darum geht, die Männer würden Einvernhemlichkeit nicht erkennen. Natürlich gehe ich auf mein Gegenüber ein und kann nonverbale Gestigen und Mimiken deuten. Auch dass, „nein heißt nein“ hin zu „nur ja heißt ja“ richtig ist versteht doch jeder. Wer will denn bitte, dass sein Gegenüber einfach nur teilnahmslos „dabei ist“ !?!?!
    Der Punkt ist, dass einvernehmlicher Sex hinterher von der Frau missbraucht werden kann, dem Mann zu schaden. Und zwar massiv. Die Unschuldsvermutung ist bei diesem Thema zumindest in den sozialen Medien nicht gegeben. Deshalb die Notwendigkeit eines Vertrages. Tatsächlich bräuchte Mann aber Zeugen während des Aktes. Sonst heißt es eben wieder, wie im Beitrag geschrieben, der Mann sei zu blöd nonverbale Zeichen zu deuten und die Frau kag ja nur „…regungslos und ohne etwas zu sagen da“.

    tldr: die Gefahr der sich Männer inzwischen ausgesetzt sehen ist Verleumdung

    • Torsten

      Hallo Jochen,
      dein Problem verstehe ich nicht – wie groß ist denn wirklich die Gefahr, dass eine Frau
      behauptet vergewaltigt worden zu sein, obwohl sie es nicht wurde – marginal.
      Gruß torsten

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