#O’grapschtis!- warum der Kampf gegen sexualisierte Gewalt auf dem Oktoberfest in die Chefetagen führen muss

Am Abend des 27. September kam die Meldung, dass eine Finnin auf dem Oktoberfest vergewaltigt wurde, die Tat selbst, ereignete sich bereits am ersten Samstag des Fests. Neben ihr ein 25-jähriger Münchner, der sich gerade die Lederhosn zuknüpfte, ein Sicherheitsmitarbeiter entdeckte ihn. Das Oktoberfest hat wieder angefangen, und Meldungen dieser Art sind immer wieder schockierend, aber kaum noch überraschend. Allein der Pressebericht der Polizei München am 25.September 2018 lässt tief blicken: an einem einzigen Tag gibt es mehrere Fälle sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Frauen*, sexuelle Belästigung und einen Angriff mit Maßkrug, weil eine Frau* sich zur Wehr gesetzt hat.


Es ist schon mal eine feine Sache, dass Medien das Thema aufgreifen. Ein bisschen schlecht wird einem dann aber, wenn man sieht wie und von wem. Im Fall Oktoberfest ist die Causa “grapschen” ein Paradebeispiel unserer Scheinheiligkeit, wenn es um das Thema sexuelle Gewalt an Frauen* durch Männer* geht. Es gibt kein rein sexistisches Problem, falls es das irgendwo jemals auf der Welt gegeben haben sollte. Was wie hier sehen, ist die Kulmination aus Sexismus, Rassismus und Klassismus. Dass die Medien das so nicht aufgreifen können oder wollen, hat damit zu tun, dass die Klasse die diese Medien macht, auch die ist, die es hier anzugreifen gilt. Die größte Bedrohung für Frauen* und den Feminismus in Deutschland ist letztendlich die Misogynie weißer, privilegierter deutscher Männer, und ohne diesen Punkt anzugreifen, werden wir langfristig nichts erreichen.

O´grapscht is! – lebensgefährliche Gewalt als Ausrutscher

Es ist immer da, auch wenn wir es nicht wahrnehmen: das unterschwellige Verständnis für weiße “Jungs”, die eben mal über die Stränge geschlagen haben.  Im Suff jemanden “anzugrapschen” – das ist nur ein kleiner Patzer, ein Versehen, und im Grunde sind wir ja alle zivilisiert. Allein die Wahl des Begriffs ist fatal und lässt tief blicken, wie sehr dieses Verhalten normalisiert ist, dass wir einen eigenen Begriff dafür haben. Denn was soll eigentlich ein “Grapscher” sein? “Grapschen”, das suggeriert eine flüchtige, gar unwichtige Bewegung, so schnell vorbei, dass da doch gar nichts Schlimmes passiert sein kann. Begriffe wie dieser normalisieren und verharmlosen letztendlich sexuelle Gewalt und erzählen das Geschehen aus dem Blickwinkel des Täters.

Perpetuiert und gestärkt wird dieses Narrativ dann vor allem durch patriarchal geprägte Medien. Dazu gehören ganz klassisch die Bild, die öfter mal von einem “Busen-Grapscher”, auch außerhalb des Wiesn Kontexts berichtet. Offensichtlich reiht sich aber auch das Sat1 Frühstücksfernsehen gerne in diese Riege ein. Vor ein paar Tagen gab es einen Beitrag zur Wiesn: “Oktoberfest – Zeit für Grapscher?” Darüber diskutierten, ja mei, wieso auch nicht, zwei Männer.

Die beiden legten den Fokus wie man beim Titel des Beitrags vermuten könnte, nicht auf die sexualisierte Gewalt die auf der Wiesn tatsächlich passiert. Thema war vielmehr wie “gefährlich” die neuen Strafgesetze “flirten” – insbesondere für Männer – auf der Wiesn machen. Ein Highlight aus dem Gespräch war sicherlich die Aussage wie extrem unverhältnismäßig es doch sei, dass man(n) 8 Monate auf Bewährung bekomme, wenn man(n)   einer Frau* oberhalb der Bekleidung zwischen die Beine “grapsche”, wie kürzlich der Fall eines Mannes zeigte. Unverhältnismäßig deswegen, weil ein anderer Mann, der einer Frau* ins Gesicht geschlagen und ihr die Nase gebrochen hatte, nur eine Geldstrafe bekommen hatte. Noch einmal zur Verdeutlichung: Die Unverhältnismäßigkeit bestand nicht darin, dass die Geldstrafe zu wenig war, sondern die 8 Monate im Vergleich dazu wohl übertrieben. Schon vor dieser genialen Auslegung verdeutlichte die Wortwahl, was die beiden von solchen Vorfällen halten. Für das Geschehen wurden nicht die Begriffe “belästigte” oder “nötigte” genutzt, sondern eben “grapschte”. Und für etwas harmloses wie einen Grapscher sind 8 Monate selbstredend zuviel.

Fakt ist, Frauen* werden tagtäglich auf dem Oktoberfest verfolgt, belästigt und bedroht. Was passiert ist nicht nur ein harmloser “Spaß”, kein einzelner Fehltritt. Das sieht man dann, wenn Frau* sich wehrt.  Einer jungen Frau wurde letztes Jahr, als sie sich laut mit einem nein zur Wehr setzte,die Nase gebrochen. Dieses Jahr bekam eine einen Maßkrug ins Gesicht geschlagen, weil sie sich ebenso gegen ihren Angreifer stellte. Diese Gewalt zeigt ganz deutlich, dass hier niemand aus Versehen und unbewusst über die Stränge schlägt. Zurückweisung wird hier mit Gewalt quittiert, ein Zeichen dafür, dass sich diese Männer etwas beraubt fühlen, was ihnen ihrer Meinung nach zustehen würde. Die Frau* hat sich zu fügen, jedes nein ist dabei ein Angriff auf das männliche Vorrecht. Medien die in diesen Fällen Begriffe wie “Grapschen”, statt Belästigung, Nötigung oder schlichtweg Gewalt nutzen, reproduzieren also die Weltanschauung der Täter, ungeachtet des tatsächlichen Geschehens. Dieses verharmlosen sexualisierter Gewalt, ist jedoch strikt an die Vorfälle von weißen, privilegierten Männern geknüpft. Für “andere”, gelten auch andere Regeln.

“Unsere” Frauen schützen? – vor allem nötig vor “unseren” Männern

So ungern wir dieses Frauenbild, dass eine Frau* immer sexuell verfügbar sein muss, sich dem Willen des Mannes zu fügen hat, als Marker in unserer deutschen Kultur erkennen wollen, umso bereitwilliger und umso fähiger, scheinen die Medien aber diesen Stempel anderen aufdrücken zu wollen. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen* wird immer dann erfolgreich als solche erkannt und skandalisiert, wenn sie von Migranten oder Muslimen ausgeht. Noch bemerkenswerter scheint es, dass auf einmal dann nicht nur die Gewalt, sondern das strukturelle Problem dahinter, also patriarchale Machtstrukturen, problemlos von Gesellschaft und Medien erkannt und eingeordnet werden können. Das Problem wird so auf eine kleine Menschengruppe abgewälzt, Gewalt gegen Frauen* mutiert damit zu einem Ersatzdiskurs um Rassismus gefahrenfrei verbreiten zu können. Auf der Strecke bleibt dabei das eigentliche Thema.

Die größte Gefahr für eine Frau* vergewaltigt oder ermordet zu werden, geht nicht vom Fremden auf der Straße aus. In Deutschland stirbt jeden dritten Tag eine Frau* durch die Hand ihres Partners, eine Statistik die auch für Rassisten schwer auf “Ausländer” zu schieben sein wird. Frauen* werden in Deutschland aufgrund von scheiternden Beziehungen, Eifersucht oder psychischen Problemen der Partner getötet, die Dunkelziffer wie viele dieser Delikte nicht tödlich enden, jedoch tagtäglich geschehen, mal dahingestellt. Dies wird in der Presse dann leichtfertig “Familiendrama” genannt. Unsere Frauenhäuser sind konstant überfüllt, seit über 20 Jahren schlagen sie Alarm, weil sie diesem Andrang kaum noch gerecht werden können.

Boys will be boys – Der ewig pubertierende weiße Mann


Wie unterschiedlich wir sexualisierte Gewalt von weißen privilegierten Männern zu anderen Schichten behandeln und wahrnehmen, erkennt man auch gut in den USA. Aktuell treten dort Frauen* vor, die über Gruppenvergewaltigung und Betäubung auf Parties an der elitären Georgetown Preparatory School und der Yale-University durch Brett Kavanaugh berichten, der heute Richter ist. Kavanaugh wird in der öffentlichen Debatte hastig durch das “er-war-doch-noch-so-jung”-Argument entschuldigt. Seine Taten werden als Ausrutscher eines Teeangers abgetan. Für nicht-weiße, nicht-privilegierte Jungs zieht dieses Argument in den USA jedoch nicht, statt Banalisierung und Unschuldsvermutung herrscht hier Generalverdacht, die Liste von der Polizei ermordeten schwarzen Jungen ist endlos, momentan am prominentesten durch die Black Lives Matter Bewegung vertreten. Parallel dazu steht aber Kavanaugh der eben eine wilde Jugendphase hatte, oder Präsident Trump der eine große Klappe hat. Und so gilt auch bei uns: ein junger weißer Mann in Tracht, vielleicht aus dem schönen Allgäu, der kann doch nicht so barbarisch sein. Frauen* bedrängen, nötigen, vergewaltigen, das sind bei uns  Missverständnisse und Ausrutscher, kein internalisierter Frauenhass.

Unser Problem sitzt in den Chefetagen

Sexualisierte Gewalt stellt ein strukturelles Problem dar, dessen Ausmaß aber in den Medien, wie auch in der Gesellschaft,  meistens nur in Bruchstücken problematisiert wird. Das hängt damit zusammen, dass die problematische Gruppe, die die man hier in den Fokus stellen müsste, auch die ist, die diese Medien leiten. Unser Problem sitzt genauso in den Chefetagen der Verlagshäuser, wie in unseren Parlamenten oder in den Festzelten des Oktoberfests.

Solange Medien sexualisierte Gewalt mit Begriffen wie “Grapscher” oder “Familiendrama” besetzen, wird sexualiserte Gewalt von weißen Männern weiterhin als Patzer abgetan werden können, den man getrost übersehen kann. Die Verharmlosung, Marginalisierung und Bagatellisierung von sexueller Gewalt kann nicht ohne einen Angriff auf die weiße, privilegierten heterosexuelle männliche Schicht unserer Gesellschaft einhergehen. Solange Medien das Narrativ des harmlosen, ewig pubertierenden weißen Jungen der es nicht so gemeint hat mit bedienen, solange bleiben die Geschichten von Opfern nur lästige Anekdoten auf dem Lebenslauf von Männern wie Kavanaugh, der immer noch für den obersten Gerichtshof nominiert ist, oder dem 25-jährigen Münchner, der zwar dem Haftrichter vorgeführt wurde, der jedoch keine Untersuchungshaft für diesen anordnete.

Sich mit dieser „boys will be boys“ Attitude aus der Verantwortung nehmen zu können, ist ein Privileg dass sich solche Männer einfach herausgenommen haben, und das sich nur durch interne Solidarität unter ihnen aufrecht erhält. Das erkennt man daran, dass dieses System nun bröckelt, wo sich die Gegenseite, also die geschädigten Frauen*, beziehungsweise Menschen, solidarisieren. Es ist liegt an uns, wie lange es noch dauert, bis so eine  Attitude gar nicht mehr durchgeht.

– Penelope Kemekenidou

  • Jane Doe

    Nur am Rande mit dem Thema des Artikels verknüpft:
    Leider ist nirgends am Artikel eine Fußnote o.ä. zu finden, die erklärt was mit Frau* oder Mann* gemeint ist.
    Dies im Ermessen der Lesenden zu lassen finde ich seltsam, besonders weil das Ganze den Eindruck erweckt, einen tieferen Sinn haben zu wollen.
    Können Sie vielleicht eine Erklärung anfügen?

    • genderequalitymedia

      Na, aber klar doch! Das Gender* „Sternchen“ soll aufzeigen, dass mit dem Begriff „Frau“ auch zum Beispiel Trans-Frauen, beziehungsweise Personen inkludiert sind, die sich selbst als Frau* definieren. Das hat in diesem Kontext den Sinn, dass klar gemacht wird, dass bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen* eben auch Personen betroffen sind, die nach dem klassischen Definitionsmodell vielleicht gar nicht als Frauen* wahrgenommen werden würden.
      Wir werden uns Mühe geben in Zukunft Begriffe und definitionen aus dem Gender -Berech näher zu erleutern. Vielen Dank für den Hinweis und danke für´s lesen! Die GEM Crew!

      • maria schnee

        Also, ich bin eine Frau (eine Transfrau). Und ich bin ganz sicher kein Gendersternchen, und auch keine „Frau*“, „Fraux“ oder ähnliche sprachliche Verwirrung. Sondern eben eine Frau.

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